BlogGeisterstadt - mit ohne Zombies (oder?)

Geisterstadt – mit ohne Zombies (oder?)

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So. Jetzt bin ich zurück von meiner kleinen Tour – ca. 3,000 Kilometer in der Bahn habe ich hinter mir und etliche Kilometer im Auto und auf Schiffen. Eine schweisstreibende Tour – jeden Tag 35 Grad mindestens am Tag und knapp 30 in der Nacht.
A propos Schiffe. Ich habe es endlich zu einem Ort geschafft, den ich schon lange besuchen wollte. Man muss schon einen sehr, sehr guten Atlas haben, um den Ort zu finden: Eine winzige Insel namens 端島 (Hashima), ca. 20 km von Nagasaki entfernt. Die Insel ist auch unter dem Namen 軍艦島 (Gunkanjima, “Kriegsschiffinsel”) bekannt.


Gunkanjima bei Nagasaki [klicken um zu vergrössern]

Was ist daran so besonders? Die Insel ist an der längsten Stelle 480 m lang und maximal 160 m breit. Ein grosser Felsen eigentlich. Bis man im 19. Jahrhundert dort Kohle entdeckte. Und eine Mine eröffnete. Das war 1890. Man merkte schnell, das es unpraktisch war, die Kumpel jeden Tag zur Insel zu schiffen. Also baute man Unterkünfte. Die Mine wurde langsam grösser, die Arbeiter mehr. Im Zweiten Weltkrieg wurden Arbeiter mit Kriegsgefangenen aus Korea und China ersetzt – viele kamen dabei ums Leben.


Gunkanjima bei Nagasaki – mit dem ersten Stahlbetonwohnblock Japans aus den 1930ern [klicken um zu vergrössern]

Nach dem Krieg baute man weiter Kohle ab – immer mehr. Also baute man mehr Wohnungen. Liess die Familien mit auf die Insel ziehen. Baute extra eine Schule. Erweiterte die Insel Stück für Stück. Errichtete einen winzigen Schrein. Und ein Kino. Bars. Auf 6.3 Hektar (zusammen mit einem Kohleverladeplatz, den Schächten usw). 1960 lebten auf dem Eiland über 5,000 Menschen – eine 9fach höhere Bevölkerungsdichte als Tokyo bzw. damals die höchste Dichte auf der Welt.


Gunkanjima bei Nagasaki: Taifune verrichten ihr Werk [klicken um zu vergrössern]

Die Arbeiter verdienten nicht schlecht auf der Insel: Farbfernseher besassen damals nur sehr, sehr reiche Menschen in Tokyo… und die Kumpel von der Panzerkreuzerinsel. 1974 war der Traum jedoch vorbei: Die Kohle war alle. Jeder verliess die Insel – seitdem ist sie unbewohnt.
Und hier kommt das Interessante: Die Insel wurde verlassen und seitdem nicht wieder betreten (mit ganz wenigen Ausnahmen). Man überliess die Insel mit ihrer Stadt den Naturgewalten. Und Taifune und Regenzeiten sowie die Gischt gehen langsam aber unaufhaltsam gegen die Bauten vor. Eine dicht geballte Geisterstadt, die man (aus verständlichen Gründen) nicht betreten darf … wohl aber umrunden darf. Eine ähnliche Atmosphäre dürfte man auf diesem Planeten wohl nur in Prypjat (Ukraine, bei Chernobyl) vorfinden.
Man bemüht sich nun wohl um eine Eintragung als UNESCO-Weltkulturerbe. Stelle ich mir schwer vor, denn diese Insel ist Sinnbild der Industrialisierung und des Verfalls – wie will man jedoch auf Dauer den Verfall vor dem Verfall retten?
Aus guten Gründen ist die Insel natürlich ein Magnet für Fotografen, Regisseure (z.B. für “Battle Royale”) und Videospielmacher.
Das Wort des Tages: 無人島 – mujintō – nicht-Mensch-Insel. Eine unbewohnte Insel.

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tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. Die Insel sieht wirklich sehr spannend aus.

    Wurde der Leuchtturm (falls der weiße Turm ein Leuchtturm ist) immer wieder erneuert, um Schiffe auf die Insel hinzuweisen? Oder warum sieht dieser so weiß aus im Gegensatz zu den normalen Gebäuden?

  2. Videospieldesigner? Hast du da ein bestimmtes im Sinn?! Schade, dass es nicht zugänglich ist, aber es bewahrt den Reiz und allerlei Gliedmaßen.

  3. Hallo zurück! Scheint ja eher ein stressiger (3.000 km in einer Woche / 35 Grad Hitze) Urlaub gewesen zu sein. Wie siehts denn da mit dem Erholungsfaktor aus?

    Interessante Insel. Findet denn in dieser Stadt vielleicht die Natur ein Refugium? Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere Seevogel nun eine hohe Meinung von den exquisiten “Eigentumswohnungen” hat. Gestört wird man ja nur von vorbeifahrenden Touristenbooten. Ansonsten dürfte es doch eine recht geschützte und ruhige Ecke sein. Es soll ja des öfteren Industriebrachen geben, in welchem sich die Natur wider Erwarten recht wohl fühlt.

  4. Hm, schaut wie bei mir in der Nachbarschaft und der Firma aus. Einfach alles stehen, liegen und verrotten lassen. Kenne andere Stellen Japans nicht gut, aber mir erscheint es mehr als typisch (leider)…

  5. @Stefan
    Gut beobachtet. Ich gehe mal davon aus, dass der Leuchtturm instand gehalten wird – schliesslich liegt die Insel in der Zufahrt zu einem ziemlich bedeutenden Hafen…

    @Kyra
    Die deutsche Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Hashima_(Insel)) nennt “Killer 7” als Beispiel. Kenne mich leider überhaupt nicht damit aus.

    @Terry
    Gute Frage. In der Gegend wimmelt es nur so vor Inseln, viele unbewohnt, aber ich nehme mal schon an, dass sich zumindest die Vögel über den Ort freuen ;-)

    @BigAl
    Ich verstehe nur zu gut, was Du meinst ;-) Kenne da auch so etliche andere Ecken…

  6. @Herm

    Danke. Ja, die Insel wurde vor zwei Wochen für Besucher geöffnet. Will heissen, ich muss noch mal nach Nagasaki… verdammt.

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