Der 8. Juli 2022, ein Freitag, wird vielen Japanern wohl im Gedächtnis bleiben: Ex-Premierminister Shinzo Abe wird morgens gegen 11:30 Uhr bei einer Wahlkampfveranstaltung an einem kleinen Bahnhof in der Präfektur Nara kurz nach Beginn seiner Rede hinterrücks erschossen. Man bringt den schwerverletzten Abe zwar so schnell wie möglich mit einem Hubschrauber in die Uniklinik der Präfektur und kann ihn auch vorerst wiederbeleben, doch kurz nach 17 Uhr verstirbt der Politiker. Zwei Schüsse trafen ihn in der Halsgegend, und eine Wunde reichte bis ins Herz.
Der Tatverdächtige, ein 41-jähriger ehemaliger Angehöriger der japanischen Selbstverteidigungskräfte, liess sich unmittelbar nach der Tat widerstandslos festnehmen. Den Bildern nach zu urteilen verübte er das Attentat mit einer selbstgebastelten Pistole. Bei einer ersten Vernehmung gestand er die Tat und gab an, mit der Person Shinzo Abe unzufrieden gewesen zu sein.
In einem Land, in dem aufgrund sehr strenger Waffengesetze Morde mit einer Schußwaffe pro Jahr meistens im einstelligen Bereich liegen1, ist dieses feige Attentat besonders schockierend. Es passiert allerdings nicht zum ersten Mal – so wurde 2007 der Bürgermeister von Nagasaki auf offener Strasse erschossen.
1954 | Geboren in der Präfektur Yamaguchi |
---|---|
1972 | Studium der Rechtswissenschaft an der Seikei-Universität in Tokyo |
1977 | 2-jähriger Aufenthalt in Kalifornien mit Sprachschule und Studium |
1979 | Arbeitsbeginn in den Stahwerken von Kobe |
1982 | Sekretär im Büro des Außenministers – Abes Großvater |
1993 | Wahl ins Unterhaus des japanischen Parlaments |
2003 | Generalsekretär der Liberaldemokraten |
2005 | Kabinettssekretär |
2006 | 90. Premierminister Japans (für ein Jahr) |
2012 | Erneut Premierminister Japans |
2020 | Rücktritt vom Amt aus gesundheitlichen Gründen |
2022 | Tod durch Attentat |
Shinzō Abe war vor allem in den letzten Jahren skandalumwittert – die gern unter dem Begriff “morikake” und “sakura” bezeichneten Skandale hielten die Nation in den letzten Jahren seiner Regierungszeit in Atem, und die japanische Rechte machte sofort nach dem Attentat deutlich, dass sie die Medien und die Oppositionsparteien für das Attentat verantwortlich macht, da dieses eine regelrechte Hetzjagd auf Abe veranstaltet hätten.
Abe verstand es jedoch immer wieder, sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen – auf seine eigene, bärbeißige Art, an der sich die Opposition immer und immer wieder abwetzte. Mit anderen Worten, Shinzo Abe hatte ein extrem dickes Fell, und das brauchte er auch, um den Rekord des am längsten amtierenden Nachkriegs-Premierministers zu erlangen.
In der Außenpolitik hatte Shinzō Abe ein geteiltes Echo – er war in Südkorea und China aufgrund seiner geschichtlichen Auffassungen nicht sehr beliebt, wohl aber bei den westlichen Partnern. Dort galt er als humorvoll, anpackend und integer. Auch hier werden die japanischen Ultranationalisten umgehend aktiv, indem sie südkoreanische und chinesische soziale Netzwerke auf hämische Kommentare durchforsten – dabei können die Rechten das selber viel besser.
Ob man Shinzō Abe nun mochte oder nicht – kein demokratisch gewählter Politiker hat verdient, so abrupt aus dem Leben gerissen zu werden. Ob der Täter nun Einzeltäter war oder nicht – das Attentat war niederträchtig und feige. In dem Sinne gilt mein Beileid seiner Frau und der gesamten Familie.
Das Attentat wird viele Fragen aufwerfen – darunter zum Beispiel die, warum die Personenschützer vor Ort offensichtlich nicht ihre Arbeit getan haben. Oder wie der Attentäter das Attentat so kurzfristig planen konnte — die Veranstaltung wurde nämlich erst gestern beschlossen. Mit Sorge muss man in den kommenden Tagen auch wieder auf die Japanische Rechte schauen, die bereits jetzt auf den sozialen Netzwerken trommeln, wilde Gerüchte verbreiten und polarisieren.
- siehe Polizeistatistik