Zum Jahresende erfolgte die übliche Tradition: Blättern im Furusato-Nōzei-Katalog. Zur Erinnerung: Da sehr viele Japaner in den großen Städten arbeiten und ihre Steuern dort entrichten müssen, wo sie arbeiten und leben, haben die ländlichen Regionen mit rapide sinkenden Steuereinnahmen zu kämpfen – und das bei einer immer älter werdenden Bevölkerung. Um dem etwas entgegenzuwirken, kann jeder in Japan einen Teil der Kommunalsteuer an eine Gemeinde der Wahl entrichten – und erhält im Gegenzug etwas im Gegenwert von meist 20-25% der entrichteten Steuer zurück. Darauf wird lediglich eine Art von Gebühr, pauschale 2,000 Yen (rund 15 Euro) entrichtet. Die Höhe der Steuer, über die man so selbst entscheiden kann, richtet sich nach der Höhe des Einkommens.
Konkretes Beispiel: Ich entscheide mich, 100,000 Yen (knapp 800 Euro) meiner zu entrichtenden Kommunalsteuer nicht an meinen Wohnort, sondern an Gemeinde XYZ zu entrichten. Dafür schickt mir Gemeinde XYZ etwas im Gegenwert von circa 20,000 Yen (die oben erwähnte 2,000 Yen-Gebühr kann mir hier getrost weglassen, da ja der Gegenwert sowie schwankt). Die 100,000 Yen muss ich dann sofort an Gemeinde XYZ bezahlen, kann aber dafür sogar auswählen, wofür die Steuer benutzt werden soll – zur Schaffung von Spielplätzen zum Beispiel, oder zur allgemeinen Verschönerung des Ortes. Dafür muss ich dann im Laufe des kommenden Jahres 100,000 Yen weniger Steuer an meinen Wohnort bezahlen. Anders gesagt: Ich bekomme quasi etwas im Gegenwert von 20-25,000 Yen geschenkt. Wenn ich dann auch noch die sogenannte “One-Stop-Methode” wähle, muss ich noch nicht einmal eine Steuererklärung machen, denn die Gemeinden regeln sich das dann unter sich. Ich muss lediglich die Kopie meines Führerscheins und meiner “My Number“-Karte an das Rathaus von XYZ schicken. Sehr praktisch, das Ganze.
Gesagt, getan. In früheren Jahren haben wir gern Hotel/Pensionsgutscheine ausgesucht, mit dem Ergebnis, dass wir die letzten Gutscheine wegen der Corona-Lage verfallen lassen mussten. Am 31. Dezember, dem Stichtag also, entschieden wir uns also quasi aus der Not heraus für etwas Essbares. Ich hätte da laut meines Limits weit mehr als 100,000 Yen ausgeben können, beliess es aber bei dieser runden Zahl. Wir entschieden uns für frischen Uni, Seeigel – um so die Stadt Nemuro mit unseren Steuern zu beglücken. Ein Jahr zuvor war ich nämlich dort auf Reisen und konnte so aus erster Hand bestätigen, dass der Ort diese Zuwendung bitter nötig hat.
Gesagt, getan: Drei Packen frischester Seeigel, aus Nemuro, und in der Qualität insgesamt fast 200 Euro wert, waren das Ziel der Begierde. Die Idee: Ein Packen wird verzehrt, der Rest eingefroren und im Laufe des Jahres zu feierlichen Anlässen herausgeholt. Und nach ein paar Wochen kam der Seeigel, befreit von seinem stachligen Mantel, versteht sich, auch per Kühllieferung bei uns an. Und er sah gar edel aus in seinen Holzpäckchen. Dem ganzen war ein kleiner Zettel beigefügt, auf dem sich die Hersteller dafür entschuldigten, dass der “Seeigel in diesem Jahr leider nicht optimal aufgewachsen und deshalb kleiner als üblich sei”. Hmm, schade eigentlich. Aber nicht ganz so schlimm. Viel schlimmer war, was darunter geschrieben stand: Dass man den gelieferten Seeigel auf gar keinen Fall einfrieren, sondern unbedingt in den nächsten drei Tagen verzehren soll, sonst würde er sich unweigerlich in grau-braunen Schlamm verwandeln. Und wenn es eines gibt, was wirklich scheußlich ist, dann ist es Seeigel, der sich in grau-braunen Schlamm verwandelt hat.
Ganz wie die Witwe Bolte in Max & Moritz blieb uns also nichts weiter übrig, als eine Packung an die Schwiegermutter zu verschenken und die anderen beiden Packungen in einem Gang zu verzehren. Was natürlich köstlich war, aber viel lieber hätten wir einen Teil als Reserve aufgehoben… Das ganze sah dann so aus:
Seeigel besteht übrigens zu rund 16% aus Proteinen und weniger als 5% Fett. Hinzu kommen die Vitamine A, B und E. Außerdem hält sich das Gerücht, dass Seeigel enorm viel Cholesterol enthält – das ist aber halb so dramatisch, denn 100 Gramm Seeigel enthalten 290mg Cholesterol – 100g Eier hingegen 430mg. Und da Seeigel sehr teuer ist, kommt man selten in die Gelegenheit, 100 Gramm oder mehr essen zu können.
besteht übrigens zu rund 16% aus Proteinen und weniger als 5%. – Was?
Fett! Das ist glatt durch die Tastatur gerutscht.
Sieht nicht sehr appetitlich aus. Aber wonach schmeckt er denn und wie ist die Konsistenz?
Frischer Seeigel hat eine angenehme Süße – der Eigengeschmack ist ansonsten ausgeprägt und mit nichts, was ich kenne, vergleichbar. Das Problem mit Seeigel ist, dass dieser Eigengeschmack mit zunehmendem Alter richtig penetrant wird. Wer also zuerst nicht ganz frischen Seeigel isst, wird ihn definitiv nicht mögen — sich aber jedes Mal daran erinnert fühlen. Die Konsistenz ist ganz, ganz leicht körnig (daran erkennt man die Frische), aber mehr noch cremig. Wird er alt, ist er nur noch cremig.
Ein Uni-Berg! Ich muss sagen, dass meine Erfahrung mit Seeigel bis jetzt nicht lecker war. Aber der war wahrscheinlich nicht so frisch wie ein Steuergeld-Geschenk…
Das gute am Seeigel ist ja, dass man ihm die Frische sofort anerkennt (zum Beispiel an den leicht gezackten Rändern und der körnigen Textur).
Wieder etwas gelernt. Jetzt weiß ich, warum die Massen von Seeigeln an der Adria (Rovinj) nicht sicher waren vor italienischen Campingurlaubern . Sie wußten was lecker ist. Es war zu der Zeit, als die Küste noch wild romantisch war. Für uns waren es Meeresbewohner deren Stacheln sich durch die Flossen oder Badeschuhe bohrten und im Fuß stecken blieben bis sie rausgewachsen waren. Entfernen ging nicht, weil die Stacheln sofort brachen. Keine angenehme Erfahrung.
“Gegenwert von circa 20,000 Euro (die 2,000 Yen-Gebühr doe oben” – meinst du nicht 20,000 Yen? Sonst würdest du ja enorm was wieder bekommen :)
Seeigel habe ich noch nie probiert und ich bin mir nicht sicher, ob das bei meinem nächsten Japan-Trip auf der Liste steht – aber probieren geht ja über studieren. Wir werden sehen!
Vermuteter Seeigelraub war der Grund warum mich mal ein Fischer beim Schimmen am Strand vor Okushiri “Angehalten” hat. Der meinte ich sei verdaechtig und kam extra mit seinem kleinen Boot zu mir rausgefahren. War dann einigermassen ueberascht eine Langnase vor sich im Wasser zu haben. Trotzdem erklaerte er mir wortreich, dass ich auf keinen Fall von den Seeigeln, die gab es dort naehmlich in Massen, naschen darf. Mir war erst nicht klar, warum es einer solchen Belehrung brauchte.
Am Strand sah ich dann aber oefter die Ueberreste von Seeigeln, die anscheinend von gewitzten Touristen aus dem Meer geholt und an Ort und Stelle ausgeluscht wurden. Klar das dies die Fischer wurmt, da es von ihrem Ertrag am Ende des Jahres abgeht.