BlogDer Mandarake-Vorfall oder die Rückkehr des Prangers

Der Mandarake-Vorfall oder die Rückkehr des Prangers

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Mandarake-Webseite mit Übeltäter
Mandarake-Webseite mit Übeltäter
In der vergangenen Woche entbrannte eine interessante gesellschaftliche Diskussion in Japan, die man so auch schon aus anderen Ländern kennt: Das öffentliche Anprangern von Übeltätern. Dieser mittelalterliche Brauch ist ja bereits hinlänglich aus Großbritannien und den USA bekannt – vor allem im Zusammenhang mit Menschen, die durch Kindesmißbrauch polizeilich belangt wurden.
Der Anlass in Japan ist geringer, aber die Diskussion darum nicht minder aufschlussreich. Den Stein des Anstosses lieferte ein Ladendieb: Jener liess aus einer Filiale der Mandarake-Ladenkette einen rund 50 Jahre alten Spielzeugroboter mitgehen. Mandarake verkauft alles rund um Manga und japanische Spielzeuge, und der Roboter („Buriki no Tetsujin #28“) wurde für 250’000 yen, also fast 2’000 Euro, zum Verkauf angeboten.
Videokameras haben den Täter erfasst, und Mandarake liess sich etwas Neues einfallen: Man veröffentlichte das Foto des vermeintlichen Täters auf der eigenen Webseite – stark verpixelt, wohlbemerkt. Dazu schrieb man, dass man das unverpixelte Foto hochladen werde, wenn sich der Täter bis Mitternacht in einer Woche nicht melde und das Diebesgut zurückgebe. Dies wurde von den Medien aufgegriffen, so dass auch die Polizei hellhörig wurde. Und letztendlich Mandarake bat, auf die Veröffentlichung zu verzichten. Rechtsexperten merkten an, dass die ungewöhnliche Maßnahme selbst ein Straftatbestand sein könnte (名誉毀損 – Diffamierung und/oder 恐喝 Erpressung). Die Seite auf Mandarake befindet sich hier.
Die Reaktionen sind gemischt, aber es dürfte klar sein, dass viele Menschen, allen voran Ladenbesitzer, der Maßnahme eher wohlgesonnen gegenübersteht. Ladendiebstähle (万引き manbiki) sind auch in Japan ein Problem, wenn es auch kleiner zu sein scheint als in Deutschland. Dort fühlte ich mich in manchen Läden so, als ob ich einfach nur als potentieller Dieb und nicht als Kunde betrachtet werde, aber in Japan bemerkt man als normaler Kunde – gottseidank – kaum etwas. Mir sind hier zumindest noch keine Ladendetektive aufgefallen, und auch sonst scheinen, von kleinen Kameras an allen Ecken und Enden mal abgesehen, die Sicherheitsmaßnahmen eher lasch zu sein. Höchstens der Kaviar ist in einer besonderen Box abgeschlossen, und CD- und DVD-Hüllen sind bei Book Off, dem Antiquariat für alles, leer, aber sonst… In Japan ist es mir sogar bereits eins, zwei Mal passiert, dass ich beinahe unbewusst zum Ladendieb wurde: Da die Läden manchmal so dicht beisammen stehen, dass man nicht merkt, wann man den Laden verlassen hat, stand ich auch schon mal mit unbezahlten Artikeln weit ausserhalb des Ladens – und hätte einfach nur weiterlaufen müssen. Was ich freilich lieber sein lasse.
Ist Mandarake nun also im Recht, so etwas zu tun? Irgendwo schon. Und doch: Sollte dies um sich greifen, wird es nicht lange dauern, bis irgendwann mal zu unrecht angeprangert wird. Und dann ist das Geschrei gross. Also lassen wir lieber die Kirche im Dorf oder den 神社 im 集落.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Mich hat es hier schon erstaunt, dass Täter im Fernsehen sofort mit vollem Namen genannt werden…
    Unrechtes Anprangern kann schneller passieren als man denkt.
    Bei mir zwar nicht öffentlich, aber ich stand in Deutschland schon im Büro von Ladendetektiven.
    Zu Unrecht natürlich.
    Aber es ist keine nette Situation, wenn man weiß, dass man eine Jacke im Rucksack und selbstverständlich, da gebraucht, keinen Bon dazu hat.

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