Die Suche nach einer Lösung des Problems mangelnder Englischkenntnisse in Japan gewann in dieser Woche an Fahrt: Das Bildungskommitee von Tokyo beschloss nämlich, eine neue Regelung für Eintrittsprüfungen in die stadteigenen Oberstufen einzuführen: Einen Englischtest, der auch Sprechen beinhaltet¹.
Eingeweihte wissen es natürlich schon längst: Die in Japan so überaus beliebten Englischtests wie TOEIC oder Eiken sind viel zu einseitig – man kann mit ihnen nicht messen, wie gut oder schlecht jemand Englisch hört und spricht. Es gibt genug Beispiele von Menschen, die einen fabelhaften TOEIC-Score von 950 oder mehr Punkten haben; beim Hörverständnis oder freien Sprechen jedoch völlig versagen. Für die Personalabteilungen global ausgerichteter Unternehmen ist das eine Katastrophe. Schlimmer noch: Die einseitige Ausrichtung auf diese Tests bedeutet, dass die Menschen weniger die Sprache lernen, als Methoden, die Tests auszutricksen. So gibt es wirklich gefühlte Myriaden von Büchern, nicht wenige von ihnen Bestseller, auf dem Markt, in denen es einzig und allein um Strategien geht, den TOEIC zu meistern. Englisch kommt in diesen Büchern eher selten vor.
Das Zauberwort heisst 4技能 – 4 Skills, also das Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen – und wie man das ganze messen kann (da erinnere ich mich noch gut an meine SKP – Sprachkundigenprüfungen – die immerhin aus sechs Teilen bestanden!). Tests dafür gibt es reichlich, und innovative Methoden schon lange, wie Versant zum Beispiel, bei dem man mit einem Telefonanruf seine Sprech- und Hörfähigkeiten messen kann, vollautomatisch, ohne Prüfer (Firmen wie Rakuten haben das sogar in ihr Mitarbeitertraining aufgenommen). Das Bildungskommitee von Tokyo überlegt nun auch, Oberschulkandidaten auf 4-Skills zu testen – wer nicht besteht, kann die Schule abhaken und muss auf andere, weniger “gute” und/oder wesentlich teurere Schulen ausweichen.
Soweit, so gut. Eigentlich ist das löblich, denn im globalen Zeitalter reicht es oftmals wirklich nicht aus, gute Englischkenntnisse lediglich vortäuschen zu können. Der einzige Haken an der Sache ist jedoch: Wo sollen sich die Schüler die Englischkenntnisse aneignen, um die Tests zu bestehen? An gewöhnlichen Mittelstufenschulen? Das ist lächerlich, denn der Englischunterricht dort – es gibt freilich auch, wenngleich meistens sehr teure Ausnahmen – ist eine reine Farce. Die Lehrer können selbst kaum Englisch sprechen, und um die Schüler frei sprechen zu lassen reicht die Zeit einfach nicht. Man schielt zwar schon auf CLIL, also die Benutzung von Englisch auch im Bezug auf andere Fächer, doch es mangelt am Personal.
Wird Tokyo seine Vision wahr machen, werden viele Präfekturen schnell nachziehen. – doch die Leidtragenden, wenn man so will, werden die Eltern sein, die monatlich hunderte umgerechnete Euro ausgeben werden müssen, um die Kinder an Privatschulen nachholen zu lassen, was das öffentliche Bildungssystem strafhaft versäumte und auch noch auf lange Zeit versäumen wird. Denn schliesslich ist da auch noch das allmächtige Bildungsministerium (MEXT), und über jenes bleibt nur anzumerken, dass die Redewendung “einem alten Hund kann man keine neuen Kunststücke beibringen” durchaus einen wahren Kern hat.
¹ Siehe unter anderem hier
Oh, na da bin ich ja mal sehr gespannt.
Es ist wirklich höchste Zeit, aber dazu müsste man erstmal das gesamte Schulsystem umkrempeln. Englisch kann nicht unterrichtet werden wie Mathe …..
Und solange die Englischlehrer ihre grottenschlechte Aussprache and die nächste Generation weitergeben, sehe ich eh schwarz. ;)
Das fällt in mein Fachgebiet und wir reden an der Uni fast jede Woche über die Probleme mit Englischlehren und -lernen in Japan. Solange Englisch Prüfungsfach für die Aufnahme an den Unis bleibt, wird sich niemand darum scheren, sprechen zu lernen, denn das würde ja kostbare Prüfungsvorbereitungszeit kosten.
Angeblich fallen bei diesen Prüfungen dann sogar richtige Antworten durch, wenn sie nicht ins Schema F passen…