Seit 2½ Jahren arbeite ich bei der gleichen Firma. Seit 2½ Jahren lebe ich in der gleichen Wohnung. Seit 2½ Jahren fahre ich (so gut wie) jeden Morgen mit der gleichen Bahn vom gleichen Bahnsteig im gleichen Waggon. Seit 2½ Jahren treffe ich die gleichen Leute unterwegs. Manche verschwinden nach einer Weile, andere tauchen plötzlich auf.
Da wäre die leicht rundliche, junge Frau, die ich jedes Mal, wenn ich sie sehe, fragen möchte, ob sie Mongolin ist – sie sieht eher mongolisch aus. Ihr Gesichtsausdruck, wenn sie mir auf ihrem Omafahrrad den Hang entgegen kommt, ist jeden Morgen so trübselig und müde, dass ich Angst habe, sie wird diesen Tag nicht überleben. Und doch kommt sie mir jeden Morgen entgegen. Und bei sorgfältiger Überlegung fiel mir auf, dass ich wahrscheinlich auch nicht freundlicher aussehe.
Da sind die “alten Säcke” vom Fahrradstellplatz – eine Gang junggebliebener Rentner, die für eine Handvoll Yen die festgezurrten und gesattelten Drahtesel bewachen. Und jeden mit einem strammen “Itterasshai!” (etwa: “bis später”) verabschieden. Es sei denn, es regnet, denn dann bleiben sie in ihrem engen “スーパーハウス (Super House)”, das ganz bestimmt nicht so heisst, weil es super ist, sondern weil dort drin die “supervisors” hausen. Ein winziges Kabuff, abgeworfen auf dem Fahrradstellplatz.
Da ist der stramme, ca. 50jährige “Salaryman” mit zerfurchtem, strengen und immer hochrotem Gesicht, der die Kioskverkäuferin immer sehr von oben herab behandelt. Seine Frau möchte man nicht sein.
Da ist besagte Kioskverkäuferin, eine schon etwas ältere Frau. Seit über zwei Jahren fragt sie mich jedes Mal, wenn ich eine Zeitung kaufe, “Quittung?” und jedes Mal sage ich “Nein, danke”, worauf sie sich jedes Mal freut.
Da ist der ebenfalls ca. 50jährige Mann im Anzug im Zug. Er steigt ebenfalls immer an der gleichen Tür ein, aber ein paar Stationen eher. Er sieht sehr freundlich aus. Irgendwann begann er, mich allmorgendlich unbekannterweise mit einem Nicken zu grüssen. Daraus wurde dann beiderseits eine freundliche, leichte Verbeugung und ein ebenfalls beiderseitiges, breites Grinsen. Ich habe begonnen, diesen fremden Menschen unbekannterweise zu mögen. Er ist das einzige Lächeln, dass mir zwischen Haustür und Büro begegnet.
Ganz herzlichen Dank für diese schöne Zeilen. Es sind die kleinen Dinge im Leben die uns am meisten freuen ;) Würde gerne mehr von solch “trivialen” Geschichten hören!
Ob du wohl auch das einzige Lächeln für diesen Mann am Morgen bist?…
Ja so ist Japan, ging mir in Osaka im Starbucks genauso… :D
Mal sehen wie sich das hier in Hashimoto entwickelt.
PS:
Treffen, aber siggi!
Solche Beobachtungen kenne ich auch hier in D auf dem Weg zwischen L und HAL (sowie zurück). Irgendwann glaubt man die Leute zu kennen, mit denen man wiederholt eine kurze Zeit verbringt. Jeder hat so seine Ticks, auf die man dann gespannt wartet.
Ein Lächeln ist mir allerdings hier noch nicht über den Weg gelaufen. (vielleicht sehe ich auch morgens nicht gerade nach einem Lächeln aus)
Diese Zeilen sagen einiges mehr über den Alltag aus, als so mancher Bericht, der sich mit Politik etc. auseinandersetzt.
Diese Art Begegnungen kennt ja jeder. Vielleicht freut sich die Dame im Kiosk, wenn man ihr mal nen Kaffe bringen würde. Ist es eigentlich sehr schwer, wirklich in ein Gespräch zu kommen oder ist es eher still? (Mal abgesehn vom Straßenlärm.)