Vor gut über einem halben Jahr hatte ich das Vergnügen, über ein typisch japanisches Sportfest in einem Kindergarten zu berichten. Heute geht es um die nächsthöhere Stufe: Ein 運動会 undōkai (Sportfest) an einer japanischen Grundschule. Normalerweise finden diese im ganzen Land im Oktober statt, aber in unserer Stadt wurde irgendwann entschieden, dass der Mai wettertechnisch günstiger sei.
Die Grundschule hat sechs Jahrgänge in Japan – die Kinder sind also 6 bis 12 Jahre alt. In der Grundschule meiner Tochter gibt es 5 Klassen pro Jahrgang, mit durchschnittlich 30 Kindern pro Klasse. Das macht also insgesammt 900 Schüler – diese Grundschule ist für japanische Großstadtverhältnisse normal bis groß. Das ganze ist eine “Leistungsschau” – und die zieht sich an unserer Grundschule 6 Stunden lang hin. Los geht es morgens um 9 (am Sonnabend), mittags gibt es eine Stunde Pause, und dann geht es weiter bis 16 Uhr. Dafür ist der folgende Montag schulfrei. Soweit die Eltern nicht arbeiten müssen, lassen sich die meisten Eltern das Sportfest nicht entgehen. 900 Kinder mal 2 Elternteile minus ein paar Väter, die arbeiten müssen, plus diverse Großeltern und andere Verwandte. Macht also 900 Kinder plus mindestens 1’800 Verwandte, die sich auf dem zugegebenermaßen großen Schulhof versammeln. Normalerweise bringt man in Japan dazu Picknickdecken und Essen mit und läßt sich so zur Mittagspause das Essen auf dem Schulhof schmecken. Nicht so an unserer Schule: Vor ein paar Jahren gab es einen Zwischenfall, bei dem sich ein paar Eltern auf dem Schulhof betranken und dann in die Wolle bekamen. Die Schüler dieser Eltern sind wohl noch an der Schule, weshalb die Schulleitung beschlossen hat, das übliche Prozedere zu verbieten – bis die Problemelternkinder nicht mehr an der Schule sind.
Beim Sportfest handelt es sich um eine Mischung aus Spielen (meist für die niedrigen Jahrgänge), Wettläufen und Tanzen. Der Höhepunkt ist dabei immer die リレー riree (vom englischen “Relay” – Staffellauf). Nicht alle Kinder dürfen dabei mitmachen – nur ausgewählte, sprich die schnellsten Schüler. Bei Sportfesten werden die Schüler übrigens in zwei Gruppen unterteilt (die Unterteilung erfolgt je nach Schule unterschiedlich): Die sogenannten 紅白 kōhaku. kō (auch “beni”) gelesen bedeutet rot; haku (auch “shiro” gelesen) bedeutet weiß. Rot und Weiß sind in Japan Festlichkeitsfarben. Und bei Wettkämpfen zwischen zwei Gruppen unterteilt man die Lager stets in “rot” und “weiß”. “Ah, bestimmt wegen der japanischen Flagge!” könnte man hier altklug einwerfen, aber der Grund ist eher historischer Natur: Während des Gempei-Krieges im 12. Jahrhundert trugen die Genji-Truppen weiße Fahnen und die Taira (das -pei in Gempei) trugen rot.
Die Sportfeste sind prinzipiell eine schöne Idee: Die Kinder lernen, sich zusammenzuraufen, treiben nebenbei Sport und können sich aneinander messen. Die Eltern haben ihren Spaß beim Zusehen – und können sich andere Eltern angucken. Eine gute Sache also. Am interessantesten war – für mich zumindest – der 応援合戦 Ōen-Gassen – der “Anfeuerungswettbewerb”, bei dem eigens ausgewählte “Einheizer” ihre Gruppe dazu anhalten, sich gegenseitig anzufeuern. Das sieht dann so aus wie im Video unten (Anmerkung: Wer sich nicht die ganzen 10 Minuten ansehen will – richtig interessant wird es ab der 7. Minute). Diese Anfeuerungswettbewerbe sind auch im Baseball üblich und möglicherweise eine amerikanische Erfindung, aber ganz so sicher bin ich mir da nicht. Auch die Anfeuerungswettbewerbe gehen in die Punktwertung ein. Heute gewann Weiß.