Auf die Gefahr hin, meine Leser zu langweilen, kommt hier schon wieder… Politik. Denn es tut sich so einiges – die nächsten Monate könnten spannend werden. Im Wesentlichen dreht sich alles um den 安全保障関連法案 Anzen Hoshō Kanren Hōan – den Gesetzesentwurf zur (Landes)sicherheit, mit dem man quasi die pazifistische Verfassung aushebeln möchte. Erst sah es so aus, als ob Abe mittels einer bequemen Mehrheit im Parlament den Gesetzesentwurf irgendwie durchmogeln kann. Doch es regt sich Widerstand. Anfangs manifestierte sich der erst durch Rentner, die vor Bahnhöfen davor warnten, dass Japans friedliebender Charakter in Gefahr ist. Hinzu kam eine Graswurzelbewegung, ins Leben gerufen von einer Hausfrau, mit dem gleichen Ziel – den Pazifismusartikel in der Verfassung zu erhalten. Daraus wiederum entstand eine Bewegung zahlreicher Honoratioren im In- und Ausland, die sich darum bemühen, die japanische Verfassung mit dem Friedensnobelpreis zu krönen. Keine schlechte Idee, wie ich finde.
In der vergangenen Woche schlossen sich nun zahlreiche Forscher zusammen, um vor Abes Plänen zu zu warnen: Sein Vorhaben sei 違憲 – iken – verfassungswidrig. Abe tobte – wer hat da die Wissenschaftler auf den Plan gerufen? Doch das war nicht alles. Seit der vergangenen Woche gibt es zudem Demonstrationen in Tokyo – oft organisiert und hauptsächlich besucht von jungen Japanern. Sehr jungen Japanern – einige Sprecher waren noch nicht mal im wahlfähigen Alter.
Heute trat Abe konsequenterweise auf die Bremse: Er verlängerte die diesjährige Parlamentssitzungsperiode um 95 Tage bis Ende September. So lange wurde die Sitzungsperiode im Nachkriegsjapan noch nie verlängert. Das Ziel ist klar: Abe möchte eine ausreichende Mehrheit sowie die Bevölkerung hinter sich sehen, denn seine Umfragewerte sind stark gefallen. Momentan erklären sich weniger als 40% der Bevölkerung mit Abes Arbeit zufrieden; nur 29% sind dabei für die Neuinterpretation der Verfassung und 53% dagegen¹. Abe wird freilich stur bleiben und auf sein Ziel hinarbeiten, aber dank des immer stärker werdenden Widerstandes könnte in den nächsten Monaten so einiges passieren.
Interessant ist in diesem Licht da die heutige Meldung zum Anlass des 50-jährigen Jahrestages der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen (Süd)korea und Japan. Abe sprach bei einer von der südkoreanischen Botschaft in Tokyo abgehaltenen Zeremonie² und versicherte dort, dass er an einer auf Freundschaft fussenden Beziehung mit Südkorea arbeiten möchte – zusammen mit der südkoreanischen Präsidentin. Dies sei schliesslich wichtig, um Friede und Stabilität in der Region zu gewähren. Auch aus Südkorea kamen heute ermunternde Töne von der Präsidentin. Meldungen dieser Art hat man seit Jahren nur noch selten gehört und lassen aufhorchen. Buhlt Abe da um Verständnis für sein Gesetzesvorhaben beim Nachbarn? Oder will er damit der eigenen Bevölkerung zeigen, dass er ja nichts Böses im Schilde führt? Es bleibt abzuwarten. Ich jedenfalls vertraue dem Burschen nicht.
¹Siehe hier.
²Siehe unter anderem hier.
Danke fuer den wie immer guten Artikel.
Das Polit-Thema ist durchaus interessant und einer der
Hauptgruende, warum ich Ihren Blog lese.
Ich schließe mich da an, sehr interessant, gerne mehr auch davon. :)
Gut zu wissen. Dann kann ich ja weitermachen :)
Ja, bitte, ganz ausdrücklich.
ich freu mich ebenfalls immer über politische Themen. Darüber wird in Deutschland nämlich viel zu wenig berichtet – generell landet Japan in deutschen Medien ja immer hauptsächlich dann, wenn es wieder ein Erdbeben o.Ä. gab.
Die Entwicklung mit der pazifistischen Verfassung finde ich bedenklich; da freut es mich dass sich auch junge Leute dagegen aussprechen! Bin gespannt, was die nächsten Monate so bringen werden.
Ich muss mal wieder den Buhmann spielen und sagen: Ich verstehe das Tohuwabohu darum nicht. Der Pazifismusparagraph mag hohen Symbolcharakter haben, ist im Zweifel aber in meinen Augen eher hinderlich. Ein klarer Fall von Idealismus vs. Realpolitik.
Wer meint, dass Japan sofort nach dem Fallen des Paragraphen einen Krieg vom Zaun bricht, der glaubt auch, dass Russland ins Baltikum einmarschiert. Beides wird nicht zutreffen.
Randbemerkung: Ende August findet an der Ludwig-Maximilians-Universität in München an drei Tagen der deutschsprachige Japanologentag statt. In der Politik-Sektion ist natürlich Abe ein großes Thema. Werde wohl da sein und bin gespannt, wie die Wissenschaftler die Sache einschätzen. (Hier für evtl. Interessenten der Link: http://www.japanologentag2015.japan.uni-muenchen.de/sektionen_panels/politik/index.html )
Das meint auch niemand. Es geht hier um Möglichkeiten, die von der Politik, wenn vorhanden, dann auch irgendwann genutzt werden, meist eben nicht zum Wohle aller. An einem Beispiel aus Deutschland kann man diesen Mechanismus gut erkennen: die Maut-Brücken. Niemand hat vorgehabt, diese zur Überwachung einzusetzen und passiert ist es dann doch, eben weil die Möglichkeit vorhanden und scheinbar so verlockend war.
Im Fall Japans würde ich ganz stark in Richtung USA blicken. Ich denke der Wind weht von dort und man hat ein starkes Interesse daran seinen Allierten von diesem lästigen Paragraphen loszueisen. Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Auch ich begrüße Deine Berichte über japanische Innenpolitik sehr. Bitte gerne weiterführen!
Zum Thema: Ich wundere mich nicht, daß sich auch v.a. viele junge Menschen bei diesem Thema engagiert haben. Man darf nicht vergessen, welche gesellschaftlichen Auswirkungen sich aus dieser – hoffentlich ausbleibenden – Verfassungsänderung ergeben können.
Japan dürfte ähnlich wie einst die BRD, kaum auf einen Einsatz von Truppen (nennen wir sie mal so) im Ausland vorbereitet sein. Das jetzt stehende Berufsheer dürfte aktuell weder die Resourcen in Form von Material noch des entsprechenden “Nachwuchses” haben. Vergleicht man das japanische Heer oder die technisch hoch stehende Marine, so erkennt man deutliche Unterschiede zu gut geölten Kriegsmaschinen wie der der Russkis, USA, Israelis und extremerweise China.
Von den Kosten von Auslandsseinsätzen in Krisengebieten oder auch Beistandshilfe aufgrund vorhandener Abkommen abgesehen ist die japanische Gesellschaft wohl auch weniger an Nachrichten von toten Soldaten in einem gottverlassenen Winkel der Welt gewöhnt. Der nötige Patriotismus und die Hurra-Grundeinstellung dazu wurde ihnen schließlich ebenso ausgetrieben wie den Deutschen nach dem 2. WK.
Den USA unterstelle ich bei dieser Angelegenheit eiskalten Opportunismus, denn denen fehlt sowohl das Geld als auch innenpolitisch die Rechtfertigung (auch nach zweieinhalb “gewonnenen” Kriegen ist man dort auch nicht mehr so begeistert, v.a. angesichts der inneren Wirtschaftsprobleme), um im Pazifik den Deckel zuzumachen und die nötige Präsenz gegenüber China und natürlich auch Nordkorea zu zeigen.
Just my 5 cents.
Real-Politik meets Pazifismus, Sicherheitspolitik meets Wunschdenken – Abe hat Recht. Die Schutzmacht hat immer weniger Lust, für Japan im Falle des Falles den Kopf allein hinzuhalten. Also muss man sein eigenes Land in Anbetracht eines aggressiven Chinas entsprechend vorbereiten.
Für Deutsche, die nicht in Japan leben, stellt Euch bitte vor: Russland kreuzt seit drei Jahren mit Zerstörern in der Dreimeilen Zone vor Hiddensee und behauptet, die Insel sei ihr im 2. Weltkrieg zugesprochen worden. Alle zwei Wochen Tiefflug von Kampfjets über der Insel. Reaktion der Bevölkerung: bitte bitte bloss nicht Putin noch mehr verärgern, indem man Paroli bietet. Sonst fliegt er auch noch nach Rügen.
Man muss sich mal vor Augen halten, worum es bei der letzten Gesetzesänderung ging. Japanische Truppen dürfen nun eingreifen, wenn ein Verbündeter bedroht wird. Vorher galt also folgendes Szenario: China schießt auf amerikanisches Schiff, dass Japan verteidigt. Japanisches Schiff darf dem amerikanischen Schiff nicht helfen. Was soll sowas?