BlogRehdemo in Nara

Rehdemo in Nara

-

Das plötzliche Ausbleiben nahezu aller Touristen hat so seine Konsequenzen – für Ladenbesitzer, Busfahrer, Hoteliers… und für die Rehe der alten Hauptstadt Nara. Die Rehe dürfen bekanntermassen frei in der Stadt herumlaufen, und die Anzahl ist durchaus beeindruckend: 1’388 Tiere zählte man im vergangenen Jahr. Die 奈良の鹿 Nara-no-shika (Rehe von Nara) haben normalerweise einen einfachen Job: Sie laufen zum nächstbesten Touristen, verneigen sich vor selbigem, und so der Tourist auch brav den Reiseführer gelesen oder wenigstens seine Artgenossen beobachtet hat, gibt er im Gegenzug ein Stück vorher käuflich erworbene 鹿煎餅 shika senbei – Cracker für Rehe – ab. Tut sie oder er das nicht, wird aus der Verbeugung auch gleich mal ein sanfter Rempler, oder das Schalentier frisst einfach mal so den Reiseführer oder die Broschüre des ahnungslosen Besuchers.

In Ermangelung des Wissens um den grössten Feind des wiederkäuenden Trughirsches, des Rehpostens (= ein Quadratmeter Blei, der sich sehr, sehr schnell nähert), sind die Tiere natürlich äußerst zahm beziehungsweise furchtlos. Doch ohne Touristen keine Kekse, und so stehen die Rehe etwas dumm da. Und sie scheinen etwas auszuhecken: In den vergangenen Tagen konnten die Bewohner der Stadt des öfteren ein Phänomen namens 鹿だまり shika-damari beobachten – Rehansammlungen, bei denen dutzende bis hunderte der Tiere quasi wie ein Flashmob irgendwo auftauchen. Was haben sie vor? Werden sie bald Anti-Corona-Transparente aufrollen und wild marodierend durch die Innenstadt ziehen? Oder Freiheit für die darbenden Rehe der Belarus fordern?

Der Grund ist dann doch eher banaler Natur. Viele der Ansammlungen findet man in schattigen oder zugigen Bereichen, zum Beispiel entlang der Entlüftungsschächte des Staatlichen Museums von Nara, oder in ausgetrockneten Wassergräben, und das ist einfach der grossen Hitze geschuldet, die momentan das Land fest im Griff hat. Dementsprechend finden die Rehdemos auch in jedem Sommer statt.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

8 Kommentare

  1. Na, solange sie keine marodierenden Banden bilden, wie die Makaken in Nikko, und alles friedlich bleibt, sollte es doch kein Problem sein. Wobei es für Transparente auch eine Grenze gibt. So etwas wie in Berlin kürzlich zu bewundern war, geht bei aller Liebe zur Meinungsfreiheit dann doch zu weit.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Neueste Beiträge

Japaner sprechen immer schlechter Englisch. Warum wohl?

Neulich war ich, wie jedes Jahr, auf einer Konferenz, bei der sich hauptsächlich viele hundert Hochschulenglischlehrer, aber auch viele...

Toyako – Ein See wie ein Auge sowie zwei nagelneue Berge

Der Toya-See ist ein wichtiger Bestandteil des Shikotsu-Tōya-Nationalparks im Süden von Hokkaido. Hochinteressant: Ein nagelneuer Vulkan.

Weg mit dem unsinnigen Besteuerungssystem für Zweitverdiener? Bewegung im Parlament

Die Besteuerung von Zweitverdienern ist seit Jahrzehnten ein großes Ding in Japan und hat einen enormen Einfluss auf fast...

Ein verschwundener Zaun und explodierte Eier

Heute trieb es mich also aus mehr oder weniger beruflichen Gründen nach Fuji-Yoshida, beziehungsweise nach Kawaguchiko, einem der 5...

Noboribetsu – der Ort des (niedlichen) Teufels

Hohe Berge, eine lange Pazifikküste und viele heiße Quellen, die mancherorts aus dem Boden sprudeln – sowie einen Berg voller Bären.

Sollte Laufen auf der Rolltreppe verboten werden?

Rund 80'000 Rolltreppen gibt es in ganz Japan (nur am Rande: und fast zehn Mal so viele Aufzüge) –...

Must read

Die 10 beliebtesten Reiseziele in Japan

Im Mai 2017 erfolgte auf dem Japan-Blog dieser Webseite...

Auch lesenswertRELATED
Recommended to you