Nun bin ich also wieder zurück aus Kyushu, nach einer kurzen aber intensiven Tour durch den Norden der Insel. An der Stelle vielen Dank noch einmal an die vielen Tipps – alles war natürlich nicht machbar, aber Hirado, Okawachiyama, Kashima und Yanagawa wurden zu lohnenswerten Zwischenstopps.
Bei der Reise hatte ich auch Zeit, den berühmt-berüchtigten 旦過市場 Tanga-Ichiba (Tanga-Markt) in der Stadt Kitakyūshū zu besuchen. Nein, dort gibt es nicht etwa Tangas, sondern nur schnöde Lebensmittel und ein paar Bars, aber der Markt geriet in letzter Zeit in das Licht der Öffentlichkeit, nachdem NHK (der staatliche Sender) eine 72-Stunden-Reportage über den Markt veröffentlicht hatte.
Besagter Markt besteht aus mehr als 120 kleinen und kleinsten Läden, die sich an dem 神嶽川 Kantake-Fluss mitten im Stadtzentrum der fast-Millionenstadt aneinanderreihen. Unter anderem befand sich hier auch der erste Supermarkt Japans, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Und der Markt fällt auf – Uneingeweihte würden ihn sofort als Schandfleck abstempeln, denn die gesamte Gegend rund um den Markt ist neu, hoch und schön und einer Millionenstadt ebenbürtig, doch der Tanga-Markt – vor allem aber die Rückseite des Marktes – sieht grauenvoll aus. Der Fluß ist eine Kloake, und die Häuserzeile kann man genau so gut in Manila oder Jakarta wähnen. Dass der mehr als 100 Jahre alte und als „Küche von Kitakyushu“ betitelte Markt nicht nur optisch sagen wir mal „problematisch“ ist, sondern auch im Allgemeinen eine Gefahr darstellt, zeigen die Brände von 1999 (ein Drittel des Marktes zerstört) und 2022 (42 Häuser betroffen). Zudem wurde der Markt zum Teil auch bei den Starkregenereignissen von 2009 und 2010 überschwemmt.
Die desolate Baustruktur und gefährliche Lage zwingt die Stadtoberen nun zum Handeln – der Markt soll umgebaut werden, und das bedeutet natürlich, dass hier zwangsläufig ein weiteres Stück altes Japan verschwindet. Die meisten Ladenbesitzer werden die neuen Mieten nicht zahlen können, die Preise der angebotenen Waren werden steigen und die Atmosphäre wird eine völlig andere, langweiligere, gesichtslose sein. Der Markt beziehungsweise der Umbau des selbigen ist ein weiteres Beispiel des Dilemmas der japanischen Stadtplanung: Alte Bausubstanz mit Seele kann nicht ohne weiteres wie zum Beispiel in Europa erhalten werden, denn früher wurde viel zu eng gebaut, und die Gebäude haben, da meist aus Holz gebaut, ohnehin ein relativ kurzes Zerfallsdatum. Wird diese Substanz dann entfernt, machen sich automatisch die üblichen Boutiquen, Telefongesellschaften und Restaurantketten breit – die Kleinhändler, aber auch die Kunden, die auf die billigen Anbieter angewiesen waren, haben dann das Nachsehen. Mit dem alten Tangamarkt verschwindet das wahrscheinlich letzte nostalgische Überbleibsel aus dem Zentrum von Kitakyushu. Schade, aber angesichts der zahlreichen Katastrophen in den vergangenen Jahren städtebaulich gesehen eine logische Konsequenz. Wobei dieses Phänomen natürlich nicht nur Japan, sondern auch Südkorea und China – und in stärkerem Ausmass dann auch Vietnam, Thailand usw. betrifft.
Interessant aber leider kann ich kein Japanisch, weiß aber, daß es Epsioden davon auch auf NHK World in englischer Sprache gibt. Habe die hier nur leider nicht gefunden. Solltest Du was hören, sach doch mal Bescheid.