Wie vor zwei Wochen angekündigt ging es in der vergangenen Woche also wieder mal nach Kyushu – nach drei Jahren Abstinenz. In den vergangenen beiden Jahren fuhr ich im Juni nach Hokkaido – zum einen, weil es dort auch sehr schön ist, zum anderen, weil man dort der Regenzeit entkommen kann. Die tobt nämlich im Juni ganz besonders in Kyushu – die Jahreszeit ist also gewagt. Zur Reiseroute: Wie immer hatte ich die natürlich grob im Kopf, aber vor allem dank des Feedbacks einiger Leser gab es letztendlich diverse Veränderungen.
Tag 1: Haneda – Fukuoka – Kumamoto
Der erste Tag sollte gemütlich beginnen – der Flug ging erst gegen 14 Uhr, und das auch noch von Haneda, das ja relativ bequem vom Zentrum aus erreichbar ist. Beim Einchecken am Automaten bemerkte ich, dass gerade mal ein Fensterplatz übrig war, den ich mir natürlich sofort ergatterte. Glücklicherweise lag der auch noch auf der linken Seite – wie praktisch, kann man dort auf der Seite doch mit etwas Glück einen Blick auf Yokohama und später auf den Fuji-san werfen.
Dieses Mal hiess die Fluggesellschaft Skymark – der erste (und heute einzige von JAL und ANA unabhängige) LCC. Die Tickets hatte ich bereits vor mehr als einen Monat gekauft, und sie waren mit rund 10,000 Yen (also 75 Euro) relativ günstig.
Der Fensterplatz erwies sich als goldrichtig – vor allem beim Fuji-san, der sich von seiner besten Seite zeigte. Für den Monat Juni ist das übrigens eine enorme Menge Schnee – normalerweise ist das meiste bis dahin abgetaut.
Nachdem wir den Fuji-san passierten, gab es nicht mehr viel zu sehen, denn wir überquerten bereits die Regenzeit-Wetterfront. Dementsprechend regnete es auch, als wir nach knapp anderthalb Stunden in Fukuoka ankamen.
Der Flughafen von Fukuoka liegt relativ zentral – und praktischerweise befinden sich die Autoverleihfirmen direkt vor dem Flughafengebäude. Das ist wesentlich praktischer als zum Beispiel in Chitose, wo man erst mal stundenlang mit dem Shuttlebus durch die Pampa fahren muss, bis man zum Autoverleih kommt.
Wie immer ging die Prozedur recht fix, und keine 30 Minuten nach der Landung hatte ich bereits meinen Standardwagen für Ausflüge dieser Art: Einen kleinen Honda Fit. Für eine Person mehr als ausreichend. Der Wagen kostet umgerechnet um die 20 Euro pro Tag, und er frisst nicht viel Benzin.
Sofort ging es mit dem Auto zur nächstgelegenen Autobahnauffahrt. Schliesslich musste ich so schnell wie möglich nach Kumamoto gelangen, um das Grab meines Schwiegervaters zu besuchen und zu pflegen – wegen Corona kamen wir ja seit 2020 nicht dazu. Allzu schwer sollte das nicht sein – Kumamoto liegt nur gute 100 Kilometer von Fukuoka entfernt, und direkt neben dem Friedhof gab es ja einen Blumenladen. Leider lag die Betonung auf “gab” – denn als ich gegen 17:30 ankam, war der Blumenladen für immer verschwunden. Also hiess es erstmal neuen Blumenladen suchen, Blumen aussuchen und kaufen – und zurück zum Familiengrab. Dort hatte sich innerhalb der letzten drei Jahre tatsächlich viel Unkraut breitgemacht, und das galt es jetzt im strömenden Regen einzeln herauszureißen.
Damit war es auch schon fast dunkel, als ich im Hotel mitten im Zentrum, gegenüber der Burg, ankam. Und da ich ordentlich Hunger hatte, ging es auch sofort auf die Pirsch.
Kumamoto? Tonkotsu-Ramen! Aber nein, seit ich das “Yokobachi” kenne, eine sehr nett eingerichtete Izakaya, die sowohl Kumamoto-Gerichte als auch chinesische Gerichte anbietet, zieht es mich immer magisch dorthin. Das Pferdefleisch dort ist nämlich ganz vorzüglich, und das gleiche gilt für die Tantanmen (sehr sesamlastiges, ursprünglich chinesisches) Nudelgericht.
Tag 2: Kumamoto – Shimabara – Huis ten Bosch – Sasebo
Auch der nächste Tag begann eher gemächlich. Eigentlich wollte ich die Ariake-Bucht entlang nach Norden fahren, aber dann merkte ich, dass es eine Fähre nach Shimabara auf der anderen Seite der Bucht gibt. Die gleichnamige Halbinsel ist bekannt für den spektakulären Unzen-Vulkan, der in den 1990ern durch eine Reihe verheerender Eruptionen weltweit bekannt wurde.
Leider machte die Regenzeit ihrem Namen jedoch alle Ehren – es goss wie aus Kübeln, und dementsprechend gab es weder von der Fähre aus noch später auf der Halbinsel viel zu sehen. Das ist Museumszeit. Es ging also in das Vulkanmuseum von Shimabara, welches wirklich gut gemacht ist. Anschliessend ging es zu einer ehemaligen Grundschule, die damals von einem der pyroklastischen Ströme zerstört wurde. Die Kinder schafften es damals in letzter Sekunde zu entkommen.
Gegen Mittag ging es zu einem angeblich guten Restaurant unweit des Hafens, das sich auf kaisendon, also Reis mit rohem Fisch obendrauf, spezialisierte. In dem grossen Lokal gab es neben mir nur einen einzigen Gast. Nach vielen Jahren in Japan und unzähligen Kaisendon kenne ich natürlich die meisten Fischarten, aber eine Sorte erschien mir unbekannt. Also fragte ich die Bedienung, was das wohl sei. Die Antwort: “Tja, also das weiss ich auch nicht”. Toll. Eine Bedienung in einem Spezialitätenrestaurant, die nicht weiß, was sie auftischt. Immerhin schlich sie sich dann von selbst in die Küche um nachzufragen. Eine Muschelart namens Tritonshorn also – eigentlich nicht unbekannt, aber auf seltsame Art geschnitten.
Weiter ging es zur Burg von Shimabara – ein Wiederaufbau zwar, aber die Burgmauern nebst Graben sind schon imposant, und immerhin liess sogar allmählich der Regen nach.
Weiter ging es nach Norden, immer am Meer entlang, wo ich zufällig am Ōmisaki-Bahnhof vorbeikam – der Bahnhof in Japan, der dem Meer am nächsten gelegen ist. Und in der Tat: Das Meer beginnt direkt am Bahnsteig, was aber bei Ebbe natürlich nicht ganz zur Geltung kommt. Das zugegebenermaßen niedliche Warnschild besagt deshalb: “Hinter der gelben Linie beginnt die Ariake-See. Bitte achten sie auf ihre Füße, um nicht herunterzufallen”. Das wär doch mal was: Aus dem Zug stolpern und direkt ins Meer fallen… Man beachte auch das Maskottchen auf dem Warnschild…
Über einen langen, kerzengeraden Damm verliess ich die Halbinsel Richtung Norden. Der Damm trennt die Isahaya-Bucht von der Ariake-See, denn erstere will man auf Dauer trockenlegen, um Neuland zu gewinnen. Damit sind nicht alle Einwohner ganz glücklich, wie diverse Transparente hier und da zeigten.
Es wurde allmählich spät – ich musste mich also sputen, denn ich hatte noch vor, einen kurzen Abstecher nach Huis ten Bosch zu machen. Jaja, der Name klingt doch nicht Japanisch, oder? Genau. Denn hier hat man mal eben halb Holland nachgebaut – als Mischung aus Wohngebiet und architektonisches Disneyland. Der Großteil wird als Themenpark genutzt, und wenn man wie ich nach 17 Uhr ankommt, zahlt man auch “nur noch” rund 35 Euro Eintritt. Aber ich musste da rein, denn ich war neugierig. Und obwohl das meiste nur Fassade ist, hat es sich trotzdem gelohnt, denn der Themenpark war fast menschenleer und die Atmosphäre, nun ja, surreal.
Nach fast anderthalb Stunden wurde es Zeit für den letzten Abschnitt – nach Sasebo, einer 250,000-Einwohner-Stadt, die in erster Linie für ihren großen amerikanischen Militärstützpunkt bekannt ist. Und wie zu erwarten findet man deshalb zahlreiche Kneipen in der Innenstadt, die vorrangig von der US Navy genutzt werden. Persönlich finde ich es gelegentlich ganz unterhaltsam, sich dort mal auf ein oder zwei Bier niederzulassen. Es mag Einbildung sein, aber man findet dort immer exakt die Sorte Menschen, wie man sie auch in einschlägigen Filmen wie “Full Metal Jacket”, “Apocalypse now”, “Top Gun” und wie sie alle heissen sieht. Manchmal kommt man auch mit welchen ins Gespräch. Zu guter letzt erinnert mich das auch immer an das langweiligste Jahr meines Lebens – damals, bei XY-Tours.
Tag 3: Sasebo – Arikawa (Gotō-Inseln)
Am nächsten Morgen sollte es eher früh losgehen: Die Fähre nach Arikawa fuhr um 8:40 los. Und siehe da: Plötzlich war blauer Himmel, und es wurde sogar ziemlich warm.
Zwar gibt es auch eine Autofähre zu den Gotō-Inseln, doch die Mitnahme des Gefährts war so teuer, dass ich das Auto am Hafen parkte und auf der Insel ein neues Auto mietete. Fahrrad wäre zwar auch eine Option gewesen, aber wie ich Japan so kenne, gab es dort wahrscheinlich entweder nur Omafahrräder oder viel zu kleine Fahrräder mit rostigen Ketten und zu wenig Luft auf den Reifen – nicht ideal in der bergigen Gegend.
Die Fähre war schnell und sehr modern – allerdings war es enttäuschend, das man überhaupt nichts ans Deck darf. Es gab also so gut wie nichts zu sehen – und der gerade vor Anker liegende amerikanische Flugzeugträger war nur schemenhaft zu erkennen.
Knapp anderthalb Stunden kamen wir in Arikawa an. Und ich war sofort überrascht – es gab sogar Convenience Stores, also einen zumindest, und Ampeln hier. Die Insel ist also relativ gut bewohnt. Und sie ist vor allem bekannt für ihre Kirchen – 29 gibt es davon auf der ganzen Insel verteilt.
Die meisten Kirchen stammen übrigens aus der Zeit rund um das Jahr 1900. Das Christentum wurde ja bis circa 1870 strengstens verboten, und erst rund um das Jahr 1900 war es relativ ungefährlich geworden, dem Christentum nachzugehen. Bis dahin mussten sich die Christen von Nagasaki jahrhundertelang verstecken. Einige tun das auch heute noch – sie weigern sich quasi, zurück unter den Deckmantel der katholischen Kirche zu schlüpfen und pflegen so den christlichen Glauben genauso wie ihre Vorfahren vor über 400 Jahren.
Die Kirchen sind allesamt katholisch – und interessanterweise sehen alle unterschiedlich aus. Die Gotteshäuser sind auf der kompletten, sehr langgezogenen Insel verteilt. Wer alle sehen möchte, braucht dafür mindestens zwei Tage.
Doch Gotō, genauer gesagt hier die Insel Kamigotō (Ober-Gotō) ist auch landschaftlich sehr, sehr reizvoll. Gelegentlich fühlte ich mich stark an das Mittelmeer, genauer gesagt die Adria, erinnert – nur das es hier noch viel grüner ist.
Touristisch ist die Gegend im Übrigen nicht sehr stark erschlossen. Zumindest in Arikawa gab es nur wenige, und dann auch sehr heruntergekommene Übernachtungsmöglichkeiten, und es war nicht einfach, ein Mittagessen aufzutreiben. Irgendwann gegen 2 Uhr hatte ich Glück und bekam eine Portion Udon, die hier wohl sehr bekannt sind – serviert von einem uralten Ehepaar, mit einem Zettel an der Restauranttür, das man das Lokal in der kommenden Woche für immer schließen wird. Das ist traurig, aber ein Blick auf die Speisekarte erklärte auch warum: Die Speisen waren allesamt sehr billig, doch da auch in Japan zur Zeit Nahrungsmittel immer teurer werden, standen die Besitzer mit ziemlicher Sicherheit vor der Wahl, entweder die Preise zu erhöhen oder den Laden dichtzumachen. Angesichts des fortgeschrittenen Alters – und noch nicht zurückkehrenden auswärtigen Besucher – entschloss man sich offensichtlich für die Schließung.
Von den zahlreichen Kirchen auf Kamigotō ist die Kashiragashima-Kirche ganz im Norden sicherlich die schönste, und so man sich telefonisch voranmeldet, kann man sogar das Innere besichtigen. Neugierig wie ich bin, fragte ich gleich mal nach, wie viele Menschen in den heutigen Tagen eigentlich im Schnitt an einer Messe teilnehmen – ganze 8 Leute waren es, und allesamt sehr hohen Alters. Die christliche Kultur auf Goto, die es jahrhundertelang geschafft hatte, sich vor der gnadenlosen Verfolgung zu retten, ist nunmehr also relativ sicher dem Untergang geweiht, denn sie stirbt schlicht und ergreifend aus.
Am Abend stiess ich auf der Suche nach Atzung auf eine interessante Bar – George’s. Ich war der einzige Kunde, und kam schnell mit dem Besitzer ins Gespräch, der mir nicht nur eine große, selbstgemachte Pizza, sondern auch noch zahlreiche andere Sachen als “Service” auftischte. Nach stundenlanger Unterhaltung über dies und das gesellte sich bald auch noch ein über 70-jähriger ehemaliger Walfänger, heute Besitzer des hiesigen Taxiunternehmens, zu uns, und das wurde auch noch mal interessant (Arikawa war früher als Walfängerort bekannt). Manchmal trifft man die erstaunlichsten Leute an Orten, wo man sie nicht vermuten würde.
Als ich gegen 11 Uhr abends ansagte, dass ich noch ein letztes Bier trinken würde, da ich morgens sehr früh raus muss, brachte man mir ungefragt nicht ein bis daher serviertes 0.33 Liter-Glas, sondern einen kompletten Liter. Damit man sich noch länger unterhalten kann. Immerhin störte mich danach der muffige Geruch des Hotelzimmers nicht mehr so.
Und das sollte auch als erster Teil des Reiseberichtes reichen… hier geht es weiter zum zweiten Teil.
„(…) je nach Zeit und Interesse folgt ein zweiter Teil.“
Aber hoffentlich! Ich lese das ganz gerne, was Du hier schreibst. :)
Danke, gut zu wissen!
Wow, tolle Reise bis jetzt. Ich frage mich immer, ob Ihre Frau nichts dagegen hat, wenn Sie rumreisen und sie mit den Kindern allein zu Hause bleibt. :-)
Die Frage wird mir häufig gestellt. Nein, sie hat im Prinzip nichts dagegen. Soweit möglich, versuchen wir natürlich, zusammen zu verreisen. Aber das geht eben manchmal nicht. Andererseits habe ich maximal eine Dienstreise pro Jahr, bin also ansonsten immer zu Hause und zumindest an den Wochenenden 120% für die Familie da. Mit anderen Worten: Meine Frau kann an diversen Wochentagen alle viere von sich strecken — ich nicht. Dafür kann ich mir aber die Freiheit nehmen, ein paar Tage mal eben so zu verschwinden :)
Danke dir für diesen super Reisebericht. Im Süden war ich noch nie, freue mich daher sehr auf Teil 2 :-)
Okay, Teil 2 wird immer wahrscheinlicher… danke!
Ich finde deine Reiseberichte immer sehr spannend und interessant. Daher Interesse für Teil 2 ist meinerseits da und deinerseits hoffentlich die Zeit ;-)
Die Neulandgewinnung durch Trockenlegung sehe ich wie so manch ein Anwohner eher Kritisch. Natürlich steht auf der einen Seite der Bedarf an Anbauflächen, aber man zerstört dadurch auch küstennahe Ökosysteme die u.a. gerade bei dem Fortbestehen der Fischbestände wichtig sind.
Wenn dann diese Flächen auch noch bebaut werden, kommt das Thema Bodenfestigkeit dazu, was du ja bereits behandelt hast. Zumal solche Gebiete dann auch gerne mit Industrien bebaut werden die man vorzugsweise ein bisschen weiter weg von der nächsten Wohnsiedlung hat…
Huis ten Bosch liegt von meinen Schwiegereltern eigentlich direkt ums Eck, aber irgendwie hat es mich dort nie hinverschlagen. Wahrscheinlich sind die Eintrittspreise schuld :-D
Mich überrascht dass dort ein so riesiger Turm steht.
Kann man da hoch oder ist das reine Kulisse?
Oh je, ob man auf den Turm kann, weiss ich gar nicht! Es gibt aber noch andere Türme — ich bin mir sicher, dass mindestens einer begehbar ist! Ansonsten… sagen wir mal so, Huis ten Bosch ist schon mal interessant. Ich bin allerdings wirklich auch nur rein, weil man nach 5 Jahren Europa-Abstinenz doch mal gern wieder ein bisschen Europa sieht (auch wenn es nur eine Illusion ist) – und weil es wochentags war und der Ort damit so gut wie menschenleer…
In Isayaha will man übrigens hauptsächlich Landwirtschaft betrieben – für Industrie liegt das zu weit weg von allem. Angesichts der anhaltenden Landflucht und immer mehr werdenden, frei werdenden Häusern und Farmen auf dem Land halte ich das Projekt jedoch für einen Anachronismus. In den 1970ern wäre es sinnvoll gewesen – jetzt ist es überflüssig (beziehungsweise den Schaden nicht wert, den es anrichtet).
ja, das dachte ich auch angesichts der brachliegenden Reisterrassen, die man auch vom Zug aus immer wieder sieht.
Danke für Teil 1 Nordkyushu . Freue mich auf Teil 2.
Nach Huis ten Bosch wollten wir auch mal. Wir sind dann stattdessen zum Inasayama Observation Deck mit wunderschöner Aussicht auf Nagasaki.
https://www.inasayama.com/
Sehr spannend, ich freue mich auf Teil 2.