Region | 北海道 Hokkaidō | |
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Bezirk | 胆振総合振興局 Subpräfektur Iburi | |
Rang | ||
Name | Der Ortsname setzt sich aus den Schriftzeichen 白 (HAKU, shiro, shira) für “Weiss” und 老 (RŌ, oi) für “alt, altern” zusammen. So wie rund 90% aller Ortsnamen auf Hokkaido stammt dieser auch aus der Ainu-Sprache. Die gängigste Theorie besagt, dass der heutige Name vom Ainu-Begriff “siraw-o-i” abstammt, was so viel wie “Ort vieler Bremsen (gemeint sind die Insekten)” bedeutet. Die heute benutzten Schriftzeichen sind 当て字 “ateji” – die Bedeutung der Schriftzeichen ist in dem Fall also bedeutungslos. | |
Lage | Shiraoi liegt an der Südküste von Mittelhokkaido zwischen den bedeutenden Hafenstädten Muroran und Tomakomai oder anders gesagt, wenn man die Luftlinie betrachtet, zwischen Hakodate und Sapporo. Bis zur Präfekturhauptstadt Sapporo sind es rund 90 Kilometer. Ein Teil des Stadtgebiets gehört zum Shikotsu-Tōya-Nationalpark. |
Shiraoi – Beschreibung
Die Gemeinde Shiraoi ist verwaltungstechnisch eine 町, was in Japan zwischen Dorf und Stadt angesiedelt ist (die Gemeinde erhielt also nie Stadtrecht). Die Gemeinde ist zugleich der einzige Bestandteil von Shiraoi-gun, aber da dieses Verwaltungsgebiet nur aus der Gemeinde Shiraoi besteht, ist der Zusatz “Shiraoi-gun” in Adressen und dergleichen eigentlich obsolet.
Shiraoi hat eine 25 Kilometer lange Küste, wobei die Gemeinde direkt am Ortsrand des Stadtkerns der Nachbarstadt Noboribetsu beginnt. Die mehr oder weniger schmale Küstenebene ist relativ dicht besiedelt –– fast alle der gut 15’000 Einwohner leben nur ein paar hundert Meter von der Küste entfernt. Wie die meisten anderen Gemeinden von Hokkaido auch hat der Ort massiv mit Einwohnerschwund zu kämpfen — zu Spitzenzeiten, in den 1980ern, lebten hier noch fast 25’000 Menschen. Doch man lässt sich einiges einfallen, um den Ort attraktiv für junge Familien mit Kinder zu gestalten.
Das Hinterland von Shiraoi ist sehr bergig, mit dem 1322 m hohen Hohoro-yama als höchste Erhebung. Da hier in der Gegend viel Niederschlag fällt — allein von Mai bis September fallen hier im Schnitt fast 1000 mm Regen und im Winter gut 2½ m Schnee – fliessen unzählige kleine wie größere Flüsse aus den Bergen in Shiraoi in den Pazifik.
Ungefähr in der Mitte des gut 425 Quadratkilometer großen Gemeindegebiets liegt ein kleiner Stützpunkt der japanischen Bodenselbstverteidigungsstreitkräfte.
Das Gebiet von Shiraoi war bis zur Ankunft der Japaner, die hier erst im Jahr 1855 einen ersten Schrein errichteten, von den Ainu bewohnt. Ende der 1870er ließen sich erste Siedler, die meisten stammten aus der Präfektur Iwate, hier nieder und gründeten das Dorf Shiraoi. 1873 verband man die Gegend mit der Straße und bereits 1892 mit der Eisenbahn. Die Gegend wurde immer mehr von neuen Siedlern erschlossen. Vorerst dominierte dabei die Landwirtschaft, vor allem die Viehhaltung, doch 1960 siedelte sich eine erste große Fabrik an – die Papierfabrik von Daishōwa (heute Nippon Paper).
Die Gegend war durchaus auch bei Besuchern aus dem Inland beliebt – davon zeugen zahlreiche Hotels und Onsen vor allem im Südwesten der Gemeinde. Trotz der langen und fast kerzengeraden Küste gibt es keine Seebäder oder Badestrände in Shiraoi – die Brandung ist hier zu stark und die Küste größtenteils steinig.
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Auf Hokkaido gab es fünf verschiedene Siedlungsgebiete der Ainu — so sagen es zumindest die Aufzeichnungen japanischer Historiker und Reisenden im 17. Jahrhundert. Diese waren:
- Die repunmosir-un-kun – sie lebten an der Nordostküste (daher auch der Inselname Rebun)
- Die isikar-un-kur, die in der Ishikari-Region zwischen Mashike und Sapporo lebten
- Die menas-un-kur, die entlang der Südostküste zwischen Erimo und Nemuro lebten
- Die horebashi-un-kur/ushikesh-un-kur (auch Uchiura-Ainu) nördlich des heutigen Hakodate
- Die sum-un-kur, die in der Gegend südlich von Sapporo, zwischen Nibutani und Shiraoi lebten
Auch bei Shiraoi lebten Ainu. Die verschiedene Stämme lebten nicht unbedingt friedvoll nebeneinander – so kam es im 17. Jahrhundert zu einem Krieg zwischen den Menasunkur und den Sumunkur. Die Sumunkur ermordeten den Clanchef der Menasunkur, worauf der neue Clanchef, der legendäre Shakushain, den Sumunkur-Häuptling ermordete. Danach revoltierte er gegen die Japaner auf Hokkaido, die in Matsumae eine Burg und einen Clansitz errichtet hatten. Als den Ainu um Shakushain klar wurde, dass sie den Kampf verlieren würden, ergaben sie sich. Beide Seiten handelten einen Frieden aus, tauschten Geschenke und besiegelten das Ende des Kampfes mit einem Trinkgelage – im Verlaufe dessen die Krieger aus Matsumae die Ainu, einschließlich ihres Häuptlings, hinterrücks meuchelten.
Spätestens mit Beginn der planmäßigen Erschließung und damit einhergehenden Besiedlung Hokkaidos durch japanische Siedler seit Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer zunehmenden Unterdrückung der Ainu: Wie zum Beispiel in Australian oder auch Kanada wurden Ainu diskriminiert und assimiliert – Traditionen, Kultur, Sprache – alles wurde verboten oder aber zumindest stark erschwert. Aufgrund der Assimilierung durch Durchmischung mit den japanischen Siedlern und der Tatsache, dass die Ainu-Sprache nicht an Schulen gelehrt werden durfte, starb das Volk beinahe aus. Erst seit den 2010ern gibt es ernstzunehmende Anstrengungen seitens des Staates, die Kultur der Ainu zu schützen. Seit 2020 gibt es Schulen auf Hokkaido, in denen auch die Sprache und die Kultur vermittelt wird.
Wie viele “reinrassige” Ainu es gibt ist unklar – genaue Zahlen gibt es dazu nicht, zumal es möglicherweise auch versteckte Fälle gibt, denn es gibt durchaus viele Ainu, die vor der Diskriminierung auf der Insel Hokkaido in andere Landesteile flohen. Zudem gibt es auch genügend Fälle, bei denen Ainu ihren Kindern die Herkunft verschwiegen, damit sie nicht diskriminiert werden. Heute bemühen sich zahlreiche Gemeinden auf Hokkaido, die Kultur wiederzubeleben. Und so entstanden im Laufe der Zeit interessante Museen, inklusive Freilichtmuseen, in denen die Kultur der Ainu vermittelt werden. Dazu zählen auf Hokkaido neben dem Upopoi diese Einrichtungen:
• Das Ainu-Kulturmuseum Nibutani der Stadt Biratori
• Das Ainu-Kotan am Akan-ko
• Das Stadtmuseum von Kushiro
• Das Asahikawa-Heimatmuseum
In Shiraoi lebten die Ainu einst entlang der Küste, doch sie wurden bald von den japanischen Siedlern verdrängt. Im Jahr 1965 baute man daraufhin ein neues kotan, so der Name einer traditionellen Ainu-Siedlung, am Ufer des Poroto-Sees. Gleichzeitig beschloss man, das kotan auch für Besucher zu öffnen, um so den Gästen das Leben und die Kultur der Ainu nahezubringen. 1967 eröffnete ein kleines Informationszentrum, 1984 dann ein größeres Museum. Eine eigens dafür gegründete Stiftung kümmerte sich um den Betrieb – diese wird heute 公益財団法人アイヌ民族文化財団, offizieller englischer Name: Foundation for Ainu Culture, genannt und entstand aus dem Zusammenschluss zweier gemeinnütziger Vereine – ein Verein war der Betreiber des Museums, ein anderer eine Institution zur Erforschung der Ainu-Geschichte.
Das ”Upopoy” – in der Ainu-Sprache bedeutet das so viel wie “mit vielen zusammen Singen” – genannte Museum in der heutigen Form wurde für 200 Millionen Yen gebaut – fast 1.5 Millionen Euro. Der im Februar 2020 eröffnete Museumsbau selbst ist architektonisch interessant aber irgendwo auch ziemlich steril. Weiter hinten am See stehen ein paar traditionelle Ainu-Hütten, in denen Museumsangestellte geduldig die verschiedenen Riten und Bräuche erklären. Draußen finden mitunter, so das Wetter mitspielt, Vorführungen und Veranstaltungen statt. Erwachsene bezahlen 1200 Yen, Oberschüler die Hälfte.
Das Museum ist nur aus kulturethnographischen Gründen interessant. Die gesamte Assimilationspolitik, die ja letztendlich bis zur Quasi-Ausrottung der Ainu führte, wird hier einfach ignoriert. Das Upopoy ist damit einfach nur verklärende Folklore, mit der Botschaft “Friede, Freude, Eierkuchen” – ohne auf den Leidensweg der Ureinwohner einzugehen. Das ist allerdings der rote Faden der Aufarbeitung der Geschichte in Japan – schließlich tut sich ja Japan auch immer noch schwer, seine eigene Rolle im 2. Weltkrieg aufzuarbeiten. Und nicht nur das: Der Rassismus gegenüber Ainu ist – nicht nur unterschwellig – auch weiterhin vorhanden.
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Kuttara-See (倶多楽湖)
Im Südwesten des Stadtgebiets, wenn auch gar nicht von innerhalb Shiraoi erreichbar, liegt der fast perfekt kreisrunde Kuttaro-See – ein 4,7 Quadratkilometer großer See mit einer Uferlänge von rund 8 Kilometern. Die relativ steilen Uferwände lassen es bereits erahnen – natürlich ist das ein Kratersee, und ein interessanter noch dazu. Im Schnitt ist der See mit gut 100 Metern nicht sonderlich tief, aber je nach Jahreszeit schwankt der Wasserspiegel um ein bis zwei Meter, da sich das Gewässer nur aus Regen- und Schmelzwasser speist – sowie nur durch das Grundwasser entwässert. Der Kuttaro-See hat damit weder einen Zu- noch einen Abfluss.
Der See ist extrem arm an Nährstoffen und damit fast frei von Lebewesen, wobei man jedoch seit 1910 im See Rotlachs züchtet – das jedoch im kleinen Stil, denn der See gehört zum Shikotsu-Toya-Nationalpark. Aufgrund der Nährstoffarmut mangelt es auch an Plankton, weshalb der Kuttara-See nach dem Mashu-See, ebenfalls auf Hokkaido, als zweitklarster See Japans gilt – mit einer Sichttiefe von knapp 20 Metern.
Am Westufer führt eine kleine, aus dem Nachbarort Noboribetsu kommende Straße am Ufer vorbei. Am Seeufer gibt es gerade mal ein Gebäude – das Paddle Street, wo man sich von Ende April bis Mitte Oktober für 7500 Yen an einer Kayak-Tour beteiligen kann. Von November bis März ist der See in der Regel zugefroren.
Ansonsten gibt es am See so gut wie nichts zu tun – richtig beeindruckend ist der Anblick aber vom nahegelegenen Bärenpark, von wo aus man den auf rund 250 Höhe liegenden See mit dem Pazifik im Hintergrund sehen kann.
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Anreise
Quer durch Shiraoi und immer kerzengerade an der Küste entlang verläuft die Trasse der JR室蘭本線, welche in Oshamambe beginnt, durch die Hafenstadt Muroran verläuft und dann über Tomakomai bis Iwamizawa, einer Stadt rund 50 km östlich von Sapporo, fährt. Es gibt mehrere Direktzüge am Tag nach Chitose (rund 50 Minuten) und Sapporo (gut eine Stunde). Damit ist Shiraoi quasi auch als Pendelort für in Sapporo arbeitende Menschen möglich.
Die meisten Züge, die in die andere Richtung fahren, enden in Muroran, doch der Hokuto-Express fährt 9 Mal am Tag weiter bis nach Hakodate. Die Fahrt dorthin dauert fast 3 Stunden.
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Übernachtung
Die meisten Besucher der Gegend übernachten im Nachbarort Noboribetsu, aber entlang der Küste von Shiraoi gibt es ebenfalls etliche Hotels – vor allem die im Südwesten des Ortes gehören zur gehobenen Preisklasse, da sie mit heißen Quellen und Vollpension ausgestattet sind. Da außerhalb übernachtet keine persönliche Empfehlung.
Zu allgemeinen Übernachtungstipps siehe Übernachtungstipps Japan.
Wenn man ohne große Erwartungen an Geschichtsvermittlung in das Upopoy-Museum geht, ist es zumindest wegen der Größe sehenswert – und laut meiner Schwester, die auch in einem Museum mit Zielgruppe Kinder arbeitet, sind sie museumspädagogisch auf nem guten Stand.
Bisher ist das einzige selbstkritische Geschichtsmuseum, das ich in Japan besucht habe, ein winziges Haus zur Dokumentation von Zwangsarbeit neben den Matsushiro Imperial Headquarters in Nagano gewesen. Und das war natürlich nicht von der Stadt, sondern Ehrenamtlern auf die Beine gestellt und betrieben.