BlogWenn der J-Alert mal wieder zuschlägt

Wenn der J-Alert mal wieder zuschlägt

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Arbeit getan, ein paar Minuten entspannen. Es ist kurz vor 23 Uhr, und die im Übrigen sehr amüsante Sendung 月曜Getsuyōからkarayoふかしfukashi läuft. Doch plötzlich wird die Sendung unterbrochen und die Fernsehredaktion beginnt hektisch zu berichten: Der J-Alert wurde soeben ausgelöst, denn Nordkorea hat eine möglicherweise ballistische Rakete abgefeuert – und zwar Richtung Japan. Geht ja auch nicht anders, denn die Rakete werden sie wohl kaum Richtung Festland, gen Russland oder China, abfeuern. Ersten Berechnungen zufolge flöge die Rakete wohl Richtung Okinawa, weshalb die 1.5 Millionen Einwohner auf der Inselgruppe aufgerufen werden, sich in Sicherheit zu bringen – zum Beispiel in Keller (kaum existent) oder „stabile Gebäude“, auch das für einen großen Teil der Bewohner kurzfristig eher schwierig, zumal es kurz vor 23 Uhr ist.

Dass dies kein Angriff ist, war natürlich schon im Voraus klar, denn Nordkorea hatte bereits vorher angekündigt, in den kommenden Tagen einen Satelliten ins All schießen zu wollen. Viel Informationen erhält man allerdings nicht aus dem Fernseher, der nur einen blauen Raketenschweif in Dauerschleife zeigt – aufgenommen von einer an der chinesisch-nordkoreanischen Grenze installierten Kamera.

So richtig kann ich mit J-Alert noch immer nicht anfreunden. Sicher, dass System ist natürlich praktisch, aber wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand durch Raketenteile verletzt wird? Raketen explodieren in der Regel kurz nach dem Start – doch im Falle einer Interkontinentalrakete ist diese beim Flug gen Japan längst im Weltraum.

Deshalb nun also 1,5 Millionen Menschen mitten in der Nacht aufscheuchen – und die restlichen 120 Millionen, obwohl hunderte bis weit über Tausend Kilometer entfernt, in Angst und Schrecken zu versetzen halte ich arg übertrieben.

Immerhin kommt der volle J-Alert, also mit Meldungen auf das Handy und über Lautsprecher (siehe Audio-Aufnahme) nur in der betroffenen Region zum Tragen. Doch auch der ist noch nicht ganz ausgeklügelt, denn die Durchsagen erfolgen ausschließlich auf Japanisch. Letztendlich halte ich da den J-Alert nur für eine große PR-Aktion mit der Nachricht: „Schaut her, wir tun etwas für Euch. Aber wie ihr seht, brauchen wir aufgrund dieser Gefahren ein stärkeres Militär“.

Immerhin benutzt man keine Sirenen – die permanenten Sirenen in der DDR fand ich als Kind häufig gruslig, denn man wusste nie, was kommt: Am meisten fürchtete ich mich vor einem schnell an-und abschwelllenden Sirenensignal, denn das bedeutete Luft- oder Atomalarm. Zum Glück waren es aber immer nur Übungsalarme oder das Waldbrandsignal…

J-Alert im landesweiten Fernsehen
J-Alert im landesweiten Fernsehen
tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

6 Kommentare

  1. Letztes Jahr kam der J-Alert bei uns auf Hokkaido – inselweit an einem Sonntagmorgen um halb acht!! Der Sound aus dem Handy war so durchdringend, dass NIEMAND mehr schlafen konnte! Und alle Sender hatten nur das eine Thema – fuer mehrere Stunden… :-o
    So ganz daneben finde ich den J-Alert allerdings nicht – die Tatsache, dass nicht jede vom Kims Holzraketen ihren Zweck erreicht, kann gut und gerne dazu fuehren, dass den Leuten hier Truemmer auf den Kopf fallen, wogegen man in der Tat nur in stabilen Gebaeuden geschuetzt waere.
    Wenn der Regierung in Tokyo am Schutz ihrer Bevoelkerung gelegen waere, so wuerde man die Rakete abschiessen, sobald sie in den japanischen Luftraum eindringt. Immerhin hat man sich von den Amis jede Menge Patriot-Systeme auf’s Auge druecken lassen…

    • Die Wahrscheinlichkeit, von dieser Rakete etwas abzubekommen, ist geringer als die, auf dem Weg zur Arbeit von einem Autofahrer überfahren zu werden, der betrunken mit dem Handy rumfummelt.

  2. Bei mir war so eine Sirene direkt gegenüber vom Kindergarten auf der anderen Straßenseite.
    Ich wusste natürlich nicht, was das bedeutet, aber das Geheule hat mich trotzdem (oder deswegen) schon als Knirps genervt.

  3. Kann ich mich auch noch dran erinnern. Das war vor einigen Jahren auch auf Hokkaido (Hakodate). Da heulten dann auch Sirenen los. Misauru Hasha, Misauru Hasha … also ich fands recht gruselig, wenn ihr mich fragt.

  4. Ich stelle mir gerade vor, wenn der J-Alert nicht an einem Sonntagmorgen, sondern an einem Werktag zur morgendlichen Rushhour in der U-Bahn ankommt, wenn gerade alle am Handy daddeln…

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