Gestern, am 22. August 2024, zog eine passable Gewitterfront über das Zentrum von Tokyo und sorgte für Regenfälle von bis zu 100 mm pro Stunde in der Gegend rund um Shibuya. Das kann passieren, nur war das Gewitter ein bisschen länger als üblich. Bei schweren Gewittern in der Gegend füllt sich der Shibuya-Fluss gleich unterhalb meines Büros relativ schnell – das Rinnsal ist im Normalfall gerade mal höchstens 10 cm tief, doch bei Starkregen rauschen die Wassermassen durch Kanalrohre von links und rechts in das Flussbett, so dass aus dem Rinnsal schnell ein 2, 3 m tiefer Fluss wird. Das Flussbett ist komplett betoniert und in Y-Form – normalerweise kommt der Wasserpegel nicht über die Erweiterung in der Mitte heraus.
Gestern jedoch dauerte es keine 15 Minuten, bis aus dem Rinnsal ein reissender Strom wurde – der Shibuya-gawa war plötzlich 4 bis 5 Meter tief – bis zum Überschwappen fehlte nur noch ein guter Meter. Seit unsere Firma im jetzigen Büro ist – wir sind vor etwas mehr als 10 Jahren dorthin gezogen – habe ich diesen hohen Wasserstand noch nie gesehen. Die Stadtverwaltung scheinbar auch nicht – auf dem Handy schwirrten Warnungen ein, laut denen entlang des Shibuya-gawa Hochwasserstufe 4 gilt – das ist die zweithöchste Warnstufe.
“Should I stay or should I go” war nun die Frage – mein Büro liegt im zweiten Stock und das Gebäude steht ohnehin ein paar Meter oberhalb des Flusses, es ist also sehr sicher. Würde der Fluss jedoch über die Ufer treten, wären alle Strassen in der Gegend unter Wasser, und nicht nur das – es würde möglicherweise auch in die U-Bahn-Schächte eindringen (die U-Bahn fährt hier nur wenige Meter unter der Erde vor unserem Gebäude vorbei – man kann sie hören). Doch ein kurzer Blick auf das Regenradar: Kein Problem, der Spuk ist gleich zu Ende. Als ich eine gute Stunde später wie üblich teilweise am Fluss entlang bis zum Bahnhof Shibuya lief, war alles vorbei und der Fluss nur ein paar Zentimeter tief. Damit hat sich die riesige Zisterne unter dem Bahnhof wohl bewährt – selbst extreme Regenmengen in sehr kurzer Zeit stellen kein Problem dar. Allerdings flogen in anderen Teilen von Tokyo, zum Beispiel in Shinjuku, mehr als 50 Kilogramm schwere Kanaldeckel ein paar Meter durch die Luft.
Doch nun zu einer anderen Beinahe-Katastrophe: Seit Tagen gibt es, zumindest in den Supermärkten in und rund um Tokyo, kein Reis mehr zu kaufen. Man bekommt maximal fertig gekochte Reispackungen, aber die sind dann auch auf eine Portion pro Person beschränkt. Für die meisten Japaner fühlt sich das sicherlich so an, wie es sich für viele Deutsche anfühlen würde, wenn plötzlich kein Bier mehr erhältlich ist, denn fast alle sind essenstechnisch regelrecht abhängig von weißem Reis.
Wie konnte das passieren? Nun, JA, die japanische Agrargenossenschaft, beschwichtigt: Reis wird nur ein Mal pro Jahr geerntet, und dies geschieht in der Regel in September. Das bedeutet, dass im August prinzipiell der Reis immer knapp wird. Dazu kommen noch zwei weitere Faktoren: Zum Ersten sank der Bedarf für Reis während der Pandemie, da die meisten Restaurants mehr oder weniger dicht machten. Das ist nun alles wieder zurück. Zum Zweiten wurde Anfang/Mitte August ganz offiziell vor einem schweren Erdbeben gewarnt, was zur Folge hatte, dass viele Menschen ihre Notreserven aufstockten. Deshalb ist zum Beispiel zur Zeit Wasser in Flaschen ebenfalls knapp. Soll heissen, ab September ist alles wieder gut.