Ich habe keine Ahnung, warum, aber heute zeigte mir meine Twitter-App mal wieder einen Tweet aus einer völlig unbekannten Ecke an:
旦那さんに唐揚げを4個、自分は3個で食卓に出す奥さん100人中99人が作りながらすでに2個食べています
— サラ (@Chuchnsdboy) April 26, 2021
In etwa: “99 von 100 Hausfrauen, die ihren Ehemännern 4 Stück karaage 1 und sich selbst 3 Stück auftischen, gaben an, bei der Zubereitung bereits 2 Stück selbst gegessen zu haben”.
Ich musste erstmal herzlich lachen. Kurz, würzig und genau auf den Punkt gebracht. Innerhalb eines Tages fast 100,000 Likes und 15,000 Retweets – nicht schlecht für jemanden mit rund 3,000 Followern (und das ist die aktuelle Zahl, wer weiss, wie wenig es vor einem Tag waren). Die Resonanz war gross, und viele Kommentare sind sehr amüsant.
Das hat damit zu tun, dass es in Japan noch viele auch heute noch antiquierte Erwartungshaltungen gibt. Eine Frau sollte zum Beispiel 少食 sein – jemand, der wenig isst. Da melden sich dann auch Frauen in Kommentaren zu wort, dass sie manchmal vor einem Date erstmal allein Ramen essen gegangen sind, um beim Rendezvous nicht den Eindruck zu hinterlassen, furchtbar viel zu essen. In der Realität können japanische Frauen nämlich, auch wenn sie manchmal noch so zierlich sein mögen, Mengen verdrücken, von denen man als normal gebauter Mitteleuropäer nur träumen kann.
Aber zurück zu Twitter: Sicher, auch in Japan gibt es “shitstorms” auf Twitter, aber Twitter findet hier eine viel breitere und etwas anders geartete Verwendung als in Deutschland. 45 Millionen Japaner, also quasi jeder Dritte, nutzen Twitter regelmässig – das jedoch weniger, um mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen (also nicht als “social” media), sondern mehr, um Informationen zu sammeln. Mit allen negativen Begleiterscheinungen, denn natürlich wird auch in Japan Twitter gern für demagogische Zwecke genutzt (siehe zum Beispiel hier).
Fakt ist, dass Twitter, ob man es nun mag oder nicht, auch ein sehr schönes Instrument zum Spracherwerb sein kann. Zum einen ist es ein vortrefflicher Spiegel dessen, was die Leute umtreibt, aber auch ein perfektes Beispiel für lebendige Sprache. Tweets auf Japanisch sind meistens auch einfacher zu verstehen als solche auf Englisch oder Deutsch – zumindest war dies bis 2017 der Fall. Bis dahin war nämlich die Zeichenzahl auf 140 begrenzt – egal ob single-byte (lateinische Buchstaben und Nummern zum Beispiel) oder double-byte (Schriftzeichen). Mit 140 Zeichen konnte man somit auf Japanisch viel mehr ausdrücken als auf Deutsch zum Beispiel, wo man ohne Aküfi nicht allzu weit kam. Erst 2017 beschloss Twitter, die Single-byte/Double-byte-Sache zu berücksichtigen – seitdem sind 280 Single-Byte oder 140 Double-Byte-Tweets erlaubt.