BlogSanriku-Kantō-Erdbeben: Update IX

Sanriku-Kantō-Erdbeben: Update IX

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Ein kleines bisschen hat sich alles beruhigt – möchte man meinen, aber das täuscht. Um das AKW wird noch immer verbittert gekämpft mit allen möglichen wie unmöglichen Mitteln. Den Versuch, mittels Wasserabwurf aus Hubschraubern die Brennelemente zu kühlen kann man dabei wohl eher als PR-Gag bezeichnen. Wichtiger wird es wohl – so zumindest meine Einschätzung als Laie – sein, die Meiler mit Strom zu versorgen, was wohl am Wochenende geschehen soll. Wieviel von der Technik vor Ort jedoch noch zu gebrauchen ist, steht auf einem anderen Blatt.
Besonders vefolge ich die Reaktionen der britischen und amerikanischen Botschaften – denn die scheinen die Lage ebenfalls kritisch, aber mit kühlerem Kopf zu betrachten. Und – die beiden Botschaften nebst Peronal befinden sich im Gegensatz zur deutschen Botschaft auch noch in Tokyo. Die britische Botschaft hat heute dabei die Warnstufe erhöht – Briten wird anempfohlen, nicht erforderliche Besuche bzw. Aufenthalte in Tokyo zu verschieben bzw. eine Abreise in Erwägung zu ziehen (O-Ton: “consider leaving”). Bei einer Pressekonferenz heute wurde gefragt, was geschehen müsse, bis die Botschaft die Warnung verschärfen würde (quasi auf das Level der deutschen Botschaft, die schon seit Tagen dazu auffordert, Tokyo und den Norden zu verlassen). Die Antwort: Hypothetisch gesehen ist das möglich – zum Beispiel, wenn der Pool mit den abgebrannten Brennelementen explodiert und danach zehn Tage lang sehr starker Wind aus Fukushima Richtung Tokyo wehen würde – einhergehend mit sehr viel Regen. Das klingt wirklich sehr hypothetisch, aber trotzdem hoffe ich natürlich, dass so etwas nicht passieren wird.
Mein Tag heute war ansonsten ein kleines bisschen ruhiger: Morgens ging es ins Büro, doch mich quälte schon ein paar Tage lang die Tatsache, dass unsere Pässe und Bankkarten zu Hause herumliegen. Ohne die würde ich nur sehr ungern nach Kōbe fahren – zumindest momentan. Also ging es mit dem Fahrrad, da das zur Zeit schneller ist, über 20 km vom Büro nach Hause. Kurzer Blick in den benachbarten Supermarkt – frisches Gemüse und Fleisch usw. gibt es es wie immer in rauhen Mengen; Windeln, Batterien, Trockennahrung usw. jedoch kaum bzw. gar nicht. Das wird wahrscheinlich wirklich alles entweder in das Katastrophengebiet geschickt oder gehamstert.
Zu Hause konnte ich anhand der Briefkästen feststellen, dass wir nicht die einzigen sind, die vorerst nicht dort wohnen – drei (uns nicht mit eingeschlossen) von 14 Parteien sind scheinbar die gesamte Woche nicht dagewesen. An der Haustür hing zwar ein Zettel, auf dem steht, dass die Wasserversorgung noch nicht funktioniert und man auch nicht weiss, wann sie wieder funktionieren wird. Aber – es gab erstaunlicherweise Wasser. Also schnell das schmutzige Geschirr abgewaschen, Sachen gepackt und zurück ins Büro.
Abends ging es nach um 7 zum Bahnhof Shinagawa zum Shinkansen. In Shinagawa ein düsteres Bild: Abgedunkelter Bahnhof, unzählige Menschen, die sich träge durch die Gänge kämpften, leere Brotläden, eine sehr dichte Spannung. Der Shinkansen war ausgebucht – komischerweise waren aber viele Plätze frei. Entweder haben die Leute es aufgrund des Verkehrschaos nicht rechtzeitig zum Bahnhof geschafft – oder nur für den Fall der Fälle gebucht. Ich weiss es nicht.
Jetzt bin ich seit halb elf nachts in Kōbe in einem kleinen Hotel. Morgen früh werde ich meine Frau und die Kinder schnappen und wir werden in ein Hotel in der Nähe ziehen, zumindest für zwei Nächte. Es ist schon komisch, hier zu sein: Die Spätverkaufläden sind voll mit Waren. Alle Lichter sind an, und man muss nicht Sorge haben, dass alles im nächsten Augenblick ausgehen kann. Das Handy funktioniert immer. Wie lange es wohl dauern wird, diesen Zustand auch in Tokyo wieder herzustellen?
So nichts gravierendes dazwischenkommt, werde ich am Montag wieder nach Tokyo fahren. Und je nach Lage im AKW hoffe ich, dass meine Familie auch wieder zurück kann. In den nächsten zwei, drei Tagen wird es auf jeden Fall etwas ruhiger zugehen auf diesem Blog. Aber Japan verschwindet ja sowieso schon allmählich vom Radar in Deutschland.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

31 Kommentare

  1. Da wünsch ich dir mal ein schönes Wochenende. Hab viel Spass mit deiner Familie. Vielleicht klappt ja alles viel besser im AKW als hierzulande gedacht. Dann kann vielleicht auch deine Familie bald nachkommen. Wie siehts denn eigentlich zur Zeit mit Nachbeben aus? Beruhigt sich der Planet?

    Hoffentlich bekommt mal jemand von den Medien hier in der BRD die Ratschläge der Botschaften von GB und USA zu Gesicht. Vielleicht helfen die, diese Panikschieberei ein wenig zurück zu drehen. Zumindest den USA traue ich zu, dass die mit ihren Weltraumaugen ziemlich genau wissen, wie das AKW aussieht.

    Alles wird gut!
    Bis bald!

    P.S. Erhol dich! Im Video sahst du sehr geschafft aus (verständlicherweise)!

  2. Hallo Tabibito,
    falls Ihr Euch doch noch Jodtabletten zulegen wolltet, könnte ich Euch meine beiden Packungen á 100 Tabletten (200müg) schicken (eine pro Tag und Erwachsener). Die hatte ich am 12.11. am Vormittag in zwei Apotheken geholt (es gab jeweils nur eine Packung, nicht wegen Japan, sondern das ist immer so wegen geringem Bedarf). Inzwischen weiß ich dass man die in D wegen Japan sowieso nie brauchen wird, weil zu weit weg (Halbwertszeit Jod-131).
    Jodiertes Salz hilft gar nichts, weil der Jodanteil zu gering ist. Die Tabletten darf man aber nur einnehmen, wenn es wirklich soweit ist. Hier ist noch eine offzielle FAQ-Seite zu Jodtabletten:
    http://www.jodblockade.de/index.php?id=17

  3. Hallihallo,

    schön, dass Du heil angekommen bist!Und das die Versorgungslage dort unten besser ist.
    Nein, Japan wird nie vom Radar bei uns verschwinden, bin aber froh, dass die Panikmache vorbei ist.Vielleicht hat man gelernt??
    Eben sprach ich wieder mit meiner Nachbarin darüber, ihr Sohn ist Pilot bei Air Berlin und lebt mit Familie in Hongkong. Mittwoch hatte er einen Flug nach Frankfurt und war erschlagen von den Berichten in den deutschen Medien.Er empfindet es ebenso wie Du, dass die deutschen Medien total histerisch reagiert haben. Regt sich darüber nur auf.
    Er kennt sich ja nun wirklich gut aus mit Windströmungen und hält eine weitere Verstrahlung durch den Wind in südliche Richtung für höchst unwahrscheinlich. Da müssten schon etliche Veränderungen zu sonst auf einmal zusammentreffen.

    Ich wünsche Dir und Deiner Familie erst einmal ein wenig Durchschnaufen, wir sind in Gedanken weiterhin bei Euch.

    Liebe Grüsse

  4. Wir wünschen Dir und deiner Familie ein schönes Wochenende. Schöpft ein wenig Kraft aus der gemeinsamen Zeit. Lass dir von deiner Plappertasche erzählen, was sie die letzten Tage erlebt hat… Das wird bestimmt nicht wenig sein aber es tut gut ;-)

    Hier in Deutschland ist man nun ausreichend damit beschäftigt sich gegenseitig mit Schlamm zu bewerfen und zu versuchen sich über die nächsten Wahlen zu retten. Es ist schon alles sehr verwunderlich.

    Unbekannte Grüße an Euch aus Potsdam

    Bis bald

  5. Japan mag wohl aus den Schlagzeilen der Medien verschwinden, aber nicht in den Herzen der Anteilnahme der Menschen und ich denke das zählt.
    Alles Gute

  6. Alles Gute für die nächsten Tage. Und: nichts verschwindet hier vom Schirm. Sehr Viele bangen mit Euch, einzeln und öffentlich, hilflos und voller Sorge.
    Barbara

  7. @Terry: „Wie siehts denn eigentlich zur Zeit mit Nachbeben aus? Beruhigt sich der Planet?“
    Soweit ich das bei der JMA (ohne genaue Analysen) einschätzen kann, geht es zurück, aber es gibt noch genügend.

    Heute gab es wohl eines der JMA-Stufe 4, der Rest war niedriger. Gestern oder vorgestern allerdings hat meine Bekannte während unseres Chats zwei stärkere Erdbeben gemeldet („warte, beben kommt“) (Standort Tokyo).

    Wenn du mal die JMA-Statistik durchscrollst, merkst aber relativ schnell, dass die Länge der gleichen Daten nach oben hin immer mehr abnimmt. Zum 17. und 18. März gibt es viel weniger Einträge als noch zum 13. oder 12. März der JMA-Stufe 3 oder höher.

    http://www.jma.go.jp/en/quake/quake_sindo_index.html

  8. Hallo,

    “Japan verschwindet ja sowieso schon allmählich vom Radar in Deutschland” Auf gar keinen Fall!!
    Von dem sogenannten “Flugverbot” in Libyen mal abgesehen” läuft auf fast allen Kanälen kein anderes Thema mehr. Als Talkshows, Nachrichten, Sondersendungen, Endlosschleifen und und und…

    Das wird sich auch vorläufig nicht ändern. Alle Medien warten auf den Showdown und gehen davon aus, das es sich nur noch um Stunden oder bestenfalls Tage handeln kann.

    Dir und der Familie alles Gute,
    ich drücke die Daumen.

  9. Die Berichtslage hat sich in der Tat in Deutschland etwas normalisiert…

    Nochmals vielen Dank, dass du uns mit Informationen aus erster Hand fütterst! Wünsche dir und deiner Familie ein schönes Wochenende! :-)

  10. Moin, schön von ihnen zu hören und gut das ihnen und ihrer Familie einigermassen gut geht! Ab jetzt kann es schließlich nur noch besser werden!

    Gruß

    Markus

    Ps bloede Frage, aber welches Video?

  11. Ich wünsche Dir ein schönes, erholsames Wochenende mit Deiner Familie. Im Video siehst Du ja (nachvollziehbarer weise) schon ein wenig so aus, als könntest Du mal wieder ne ordentliche Mütze voll Schlaf gebrauchen; ;)

    Die deutschen Medien wenden sich derzeit wieder etwas mehr Gaddafi, der inner-deutschen Atomdebatte und dem Fussball zu. Schliesslich weigert sich das AKW Fukushima ja standhaft, neuen Anlass für “Sensationsmeldungen” zu geben. Sollte man irgendwann die Lage dort tatsächlich wieder unter Kontrolle haben, dann, so vermute ich mal, wird das in den Nachrichten nur als Kurzmeldung auftauchen.

    Mit dem Zurückholen der Familie würde ich vielleicht warten, bis sich die Lage auch in den Supermärkten normalisiert hat. Der Familienneuzugang dürfte ja doch eine gewisse Windel-Nachfrage erzeugen. ;)

  12. Eine gewisse Ironie hat das ja schon, dass ihr euch ausgerechnet nach Kobe in Sicherheit bringt, das vor 16 Jahren bei der letzten großen Erdebebenkatastrophe zerstört wurde und wo tausende Menschen ums Leben kamen…

  13. hier iss japan immer noch aufm schirm, komme gerade vom wochenmarkt, da wird heftig diskutiert. Neben reichlich bescheuertem gibts auch possitive gedanken, vor allem aber die sorge um die menschen, die als folge der ereignisse so unglaubliches leid erleben müssen.

    Berichte bitte weiter, nett geschrieben und vor allem vor ort, das hat was. Danke

  14. PR-Gag finde ich einweing über trieben, die Leute sind verzweifelt. Es ist besser irgendwas zu tun als nichts zu tun. Aber in den letzten swei Tagen ist die Situation nicht schlimmer geworden, was ich als optimist schon als positiv vetrachte. Natürlich bleit die Lage weiter kritisch.

    Apropo Erdbeben, vor kurzem gab es schon wieder eins der Stärke 5+ in Ibaraki. Die Platten bleiben also ‘unrhig’.

    Ich hoffe das sich die Situation bis Montag beruihgt / verbessert.

    Und das endlich, endlich der Fokus auf die humanitäre Situation gelegt wird.

  15. Auch in wünsche euch ein (relativ) entpanntes Wochenende.

    Aber ich kann Dir widersprechen: nicht in Deutschland verschwindet Japan aus den Themen, sondern nur in der Journaille …

    Die Menschen (jedenfalls die Mehrheit derer, mit denen ich zu tun habe), können und wollen es nicht aus den AUgen verlieren.

  16. @Robert: „Z.B. dass die Reaktoren 4,5 und 6 waren zum Zeitpunkt des Bebens abgeschaltet. “

    Wurde anfangs eigentlich immer betont, aber vielleicht habe ich es am Anfang auch einfach so intensiv verfolgt, dass ich die „basics“ jetzt alle drauf habe. Wie es jetzt ist, weiß ich nicht. Ich schau nur noch meine Messdaten-Tabelle von verschiedenen Präfekturen an und erkenn auch so die Lage :D

    *eigenwerbung* http://radiation.eliteinformatiker.de/

  17. Ja, den Berufsbetroffenen geht gottseidank langsam die Puste aus. Das hat ein Gutes: Diejenigen, die sich jetzt immer noch über Japan Gedanken machen, sind ernsthaft an Land und Leuten interessiert und beweisen in den meisten Fällen auch mehr Sachverstand & Besonnenheit. Auf die Panikmacher und Krokodilstränenverspritzer kann man im Grunde auch gut verzichten.

  18. Es sind mal wieder gruselige Nachrichten um Umlauf!
    Die Stromversorgung steht zwar, aber es erfolgt noch keine Kühlung.
    Ein weiteres Erdbeben mit der Stärke 6,1 war am Samstag zu messen.
    Anstatt der Freiwilligen, wie berichtet wurde, sollen es nun auf einmal zwangsverpflichtete Arbeitslose sein, die man dort hinschickt.
    Usw. und sofort…..

    Ach, ich mag das alles nicht mehr lesen!
    Freue mich schon auf Deine Rückkehr, Du rückst alles in die richtigen Dimensionen zurecht.

    Morgen gehe ich wieder zur Mahnwache, gestern war ich zur Demo.
    Wir haben hier ja einen guten und herzlichen Kontakt zur japanischen Community, sie spendieren uns jedes Jahr ein wunderbares Feuerwerk zum Kirschblütenfest.Heisst:Wir lieben “unsere” Japaner.

    Das Mitgefühl ist groß und das Spendenaufkommen ebenso, nur spricht man als Hanseat hier nicht groß drüber.

    Unser Wahlspruch: Nicht sabbeln, machen!

    Ich schicke Euch gute Gedanken und hoffe weiter mit Euch, dass alles gut wird.

    Gruss
    Steffi

  19. Ohje, das mit dem grauen Rauch über dem Reaktor mit dem Plutonium hört sich überhaupt nicht gut an, und der Wind weht Richtung Tokyo? Hoffentlich passiert jetzt nicht das, was befürchtet wurde :-(

  20. Danke, dass Du uns in Deutschland an Deinem Erleben teilhaben lässt. Für mich bist Du eine Informationsquelle, die auf einige Dinge ein anderes Licht wirft und andere Dinge erklärt.

    Dankeschön und mach bitte weiter.

    Dir und Deiner Familie, sowie allen in Japan wünsche ich Alles Gute.

    Ana

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