BlogNachruf

Nachruf

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Zur Warnung vorneweg: Dies ist ein sehr persönlicher Artikel.
Heute um 17:45 verstarb mein Schwiegervater im engsten Kreis und nach einem über zehn Jahre lang währenden Kampf an einem Krebsleiden. Im Alter von gerade einmal 65 Jahren. Vorgestern noch habe ich ihn ins 70 Kilometer entfernte Spezialkrankenhaus gefahren, wo uns ein Arzt die bittere Wahrheit verkündete: Es könnte jederzeit soweit sein. Heute war ich mit den Kindern, um diese etwas abzulenken (es sind Sommerferien), in einem nahegelegenen Spielpark. Nach kurzer Absprache mit der Familie fuhren wir danach wieder zum Krankenhaus. Da das Bewusstsein schon stark getrübt war, baten wir die Kinder, den geliebten Opa laut anzusprechen — das taten sie auch, doch zwei Minuten später versagte sein Herz endgültig. Es war beinahe so, als ob er darauf gewartet hätte, noch einmal die Stimmen meiner Kinder zu hören, denn er liebte sie über alles.
Kennengelernt habe ich meinen Schwiegervater vor 18 Jahren. Und so seltsam es auch klingt: Es hatte sofort gefunkt. Mir war er sofort sympathisch, da die Tatsache, dass ich Ausländer bin, absolut gar keinen Einfluss auf seine Meinung hatte. Beim ersten Treffen waren wir in einem Restaurant, zusammen mit seiner Frau und seinen drei Töchtern. Kaum 5 Minuten waren vergangen, als wir uns in einer gepflegten Diskussion über den Unterschied von Pflegeversicherungen in Deutschland und Japan wiederfanden (berufsbedingt), was vom Rest der Familie mit Augenrollen erwidert wurde. Als ich vier Jahre später, in einer Email (es ging damals leider nicht anders) um die Hand seiner Tochter anhielt, bekam ich eine sehr positive Antwort und eine Bedingung: Wir mögen bitte die ersten drei Monate nach der Hochzeit in Japan verbringen, denn er wollte so sicherstellen, dass es seiner Tochter auch gut geht. Daraus sind nun fast 15 Jahre geworden.
Nach der Krebsdiagnose bat er seine Firma, ihn in die gleiche Stadt zu versetzen, in der wir wohnten. Als wir nach dem Erdbeben 2011 beschlossen, in einer anderen Stadt ein Haus zu kaufen (in einer sichereren Gegend), liess er sich ebenfalls in der Nähe wieder. Wir haben uns oft getroffen, sind oft mit der ganzen Familie verreist, haben sehr viel gelacht, sehr viel diskutiert. Mein Schwiegervater war mehr als ein Schwiegervater: Er war ein Freund, ein sehr guter Freund, mit der gleichen Wellenlänge, und mit sehr viel Humor. Integer. Neugierig. Aufgeschlossen. Und jemand, der alles für die Familie getan hat. Nichts liebte er mehr, als von seinen Töchtern, seinen 5 Enkeln und seiner Frau umgeben zu sein. Und genauso wurde er heute verabschiedet. Ich bin sicher, er mochte diesen Abschied – der jedoch viel zu früh kam, denn bis zuletzt hatte er noch Hoffnung, dass sich das Unvermeidbare weiter herauszögern lässt. Nach 10 Jahren Kampf durchaus eine berechtigte Hoffnung. Doch es hat nicht sollen sein.
Als er vom Arzt gefragt wurde, wer ihn denn auf dem letzten Weg begleiten wird, sagte er “Meine Frau, meine Töchter und mein Sohn”. Er sagte nicht “Schwiegersohn”, sondern “Sohn”. Ein kleiner Unterschied, der mich sehr bewegt.
Es gab und gibt — das muss ich leider so sagen — nur sehr wenige Menschen, die mich wirklich beeindrucken. Mein Schwiegervater gehörte zu diesen wenigen Menschen. Ihn so früh gehen zu lassen fällt schwer. よく頑張った。お疲れ様でした。

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

21 Kommentare

  1. Ich glaube, da hast du ein ganz besonderes Glück für einige Zeit erhalten. Eine so innige Beziehung zu Schwiegereltern ist etwas ganz besonderes. Mein herzliches Beileid Dir und Deiner Familie.

  2. Es sind die kurzfristigen und längerfristigen Weggefährten, die die Reise durch das Leben zu einer angenehmen oder unangenehmen Erfahrung machen. Du hast Dich da jemandem angeschlossen, der Dir viel gegeben hat und dem Du viel geben konntest. Jetzt hat sich die Art Eurer gemeinsamen Reise verändert. Oder wie meine Tochter das mal sagte: Du wirst jetzt von einem Kami-sama begleitet … Auch wenn der physische Abschied weh tut, bewahrst Du die vergangene Zeit in Deinem Herzen und wirst so Eure Beziehung mit in die Zukunft nehmen. Auch von unserer Seite herzliches Beileid.

    • Danke für den lieben Kommentar.
      Du triffst da einen wunden Punkt. Für einen Agnostiker wie mich ist die japanische Art und Weise, den von uns Gegangenen zu gedenken, schwer verdauliche Kost. Da gibt es einige Gedanken zu ordnen.

  3. Mit meinem Schwiegervater hatte ich auch eine gute Beziehung, wenn auch vielleicht nicht so eng wie deine. Auch er ist relativ jung von uns gegangen.
    Wie dem auch sei, ich weiss, das ist jetzt eine harte Zeit für dich und deine Familie. In diesem Sinne: 御愁傷様です。

  4. Mein herzliches Beileid.
    Wenn das Schicksal einen schon auseinanderreisst, dann doch lieber so…in Ehre und Respekt voreinander.
    Alles Gute Dir und Deiner Familie

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