Vor ein paar Wochen erschien auf Japan Digest ein interessanter Artikel mit dem Titel Warum Kansai- und Kantō-Dialekt so unterschiedlich klingen – eine gute Frage, und ein Teil der Erklärung war mir neu – zwar hatte ich ein paar der genannten Gründe geahnt, aber ich sah es zum ersten Mal ausformuliert. Dialekte sind in Japan eine interessante Angelegenheit: Wie auch in anderen Regionen der Erde, in denen die Menschen im Wesentlichen viele Jahrhunderte nicht sehr mobil waren, haben sich in Japan mehr oder weniger verschieden stark ausgeprägte Dialekte gebildet. Je abgelegener die Region, desto wilder der Dialekt. Es gibt dennoch ein paar Besonderheiten. So zum Beispiel fehlt die Komponente der Migration beziehungsweise Durchmischung mit anderen Volksgruppen, wie es zum Beispiel auf den britischen Inseln der Fall war: Dort hinterliess die Invasion der Normannen eine tiefe Spur in der Dialektlandschaft. In Deutschland und in der Schweiz wiederum haben die Sprachen benachbarter Völker ihre Spuren hinterlassen. Japan hingegen wurde nie erobert, und es fand nie eine nennenswerte Migration von außerhalb statt. Und es gibt noch andere Überraschungen, die allerdings schnell erklärt sind: So sollte man allein aufgrund der geographischen Besonderheiten vermuten, dass es auf der nördlichen Insel Hokkaido stark ausgeprägte Dialekte gibt – nicht nur, weil es relativ abgelegen ist, sondern auch, weil es dort im gewissen Maße zu einer Durchmischung mit den Ureinwohnern, den Ainu, gab, die eine ganz eigene, nicht mit dem Japanischen verwandte Sprache sprechen. Doch dem ist nicht so. Es ist im Prinzip unmöglich, anhand der Aussprache oder gewisser Vokabeln festzustellen, ob jemand von Hokkaido stammt oder nicht. Das liegt daran, dass die Insel erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts ernsthaft kolonialisiert wurde. Andererseits liegt es daran, dass die Neuankömmlinge alles daran taten, die Kultur der Ainu auszumerzen. Von den Ainu blieben letztendlich fast nur die Ortsnamen – rund 90% der geographischen Bezeichnungen auf der Insel entspringen der Ainu-Sprache.
Japaner sind oft überrascht, wenn sie hören, dass es auch in Deutschland stark ausgeprägte Dialekte gibt, und sie sind meist sehr interessiert daran, zu hören, wie verständlich die Dialekte sind. Man fühlt sich oft versucht, Vergleiche zu ziehen. Der mit Abstand bekannteste Dialekt in Japan ist der 関西弁, der in und um Osaka gesprochen wird. Zwar wird dieser nicht als solcher in der Schule gepflegt, aber auf der Straße und selbst im Fernsehen ist er allgegenwärtig. Müsste ich ihn vergleichen, würde ich Kansai-ben am ehesten mit der Berliner Schnauze vergleichen: Ziemlich direkt, etwas despektierlich und ein klein wenig komisch. Schon weit weniger bekannt beziehungsweise eher berüchtigt sind der 東北弁, gesprochen im Norden der Insel Honshu, sowie als besondere Spielart der fast unverständliche 津軽弁, gesprochen im Nordwesten der Präfektur Aomori. Während man Tsugaru-ben definitiv als Dialekt durchgehen lassen kann, ist Tohoku-Ben eigentlich ein Obergriff für eine ganze Dialektgruppe mit großen regionalen Unterschieden. Müsste ich diesen vergleichen, würde mir als erstes Sächsisch einfallen: Beide sind eigentlich eine ganze Dialektgruppe, beide zeigen eine ausgeprägte Konsonantenschwächung (aus “kaki” wird im Tohoku-ben oftmals “gagi”), und beide werden gern in Filmen und dergleichen benutzt, um anzudeuten, dass jemand vom Lande kommt.
Die japanische Schriftsprache ist leider nicht sehr hilfreich, wenn es um die Aufrechterhaltung von Dialekten geht, da ja nur teilweise geschrieben wird, was gesprochen wird – die chinesischen Schriftzeichen geben ja in der Regel die Bedeutung wieder und nicht die genaue Aussprache (nun, die Wahrheit ist etwas komplexer). Steht das Wort 牡蠣 irgendwo geschrieben, weiss man zwar, was es bedeutet (Auster) – aber es erschließt sich überhaupt nicht, wie es in der Region gesprochen wird. Während es “kaki” im Standardjapanisch (übriges ein vom Bildungsministerium geschaffenes Kunstprodukt) gesprochen wird, variiert die Aussprache und/oder Intonation je nach Region. Daher wird weder im Internet noch in Büchern in Dialekten publiziert. Damit sterben die Dialekte in Japan allmählich aus, denn die seit langer Zeit anhaltende Landflucht, gepaart mit der viel zu niedrigen Geburtenrate, sorgt dafür, dass mit den alten Menschen auch zahllose Dialekte aussterben.
Immerhin beschäftigen sich seit langer Zeit Linguisten mit den japanischen Dialekten – interessant ist hier zum Beispiel der “Linguistic Atlas of Japan”, welcher freundlicherweise vom National Institute for Japanese Language and Linguistiscs hier als PDF zum Download angeboten wird.
Dieser ist zwar ziemlich alt (die Daten stammen aus den Jahren 1964 bis 1974) aber sehr aufschlussreich, nicht nur was Begriffe an sich anbelangt, sondern auch, welche Endungen wo benutzt werden.
Das ist aber schon sehr alt! Da ist ja selbst Standard-Japanisch intzwischen ein neuer Dialekt im Vergleich ;)
Na, das mit der Einwanderung wuerde ich aber nochmal ueberdenken… ;-) Irgendwie kamen ja Kanji nach Japan, und das auch noch in mehreren Wellen, was ja auch die Vielzahl unterschiedlicher on-yomi bei ein und demselben Kanji erklaert.
Hier auf Hokkaido ist auffaellig, dass der in und um Hakodate gesprochene Dialekt dem Tsugaru-ben sehr aehnlich ist. Mein erster Vermieter in Sapporo kam aus Hakodate, wohnte separat in seinem eigenen Haus nebenan und schaute gern auf ein Schwaetzchen vorbei – ich konnte ihn anfangs kaum verstehen… :-o
Als ich in den 80ern nach Japan kam, lief eines Abends im TV ein Krimi, der in Kagoshima spielte. Die Sendung war fast durchgaengig mit Untertiteln versehen…
Naja, die Kanji kamen ja weniger von Einwanderern sondern eher von Japanern auf der Suche nach Schrift & Religion
Offtopic: Deine Wetterstation hat wohl ‘ne Macke. Zeigt OGrad und 0% Luftfeuchte an. Wackelkontakt am Sensor?
Gruss, Christian
Yep, muss das am Wochenende richten… Batteriewechsel reichte leider nicht aber das neu Einrichten dauert eine Weile :(
Also nicht nur von der Sprache sondern auch vom Charakter her vergleiche ich Kansai-ben mit Schwäbisch und den Norden Japans mit Bayern . Ich denke Berliner können einfach zu Hochdeutsch switchen, während zB die Schwaben immer erkennbar sind, auch auf Englisch. Bei den jap. Filmen mit Untertitel wird meist getreu wiedergegeben, wie die schwätzen während bei den dtsch. Filmen eh die meisten hochdeutsch sprechen und wenn Untertitel werden die zu hochdeutsch geändert. Auf Hokkaido lebten die meisten Japaner so getrennt von den Ainu, dass die Original-Namen erhalten blieben ist dank Matsuura.