BlogWie laizistisch ist Japan wirklich?

Wie laizistisch ist Japan wirklich?

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Am 15. November 2023 verstarb 池田大作 (Daisaku Ikeda), ein buddhistischer Philosoph und dritter Anführer der buddhistischen – und in Japan allgegenwärtigen – Sekte 創価Sōka学会Gakkai, die nach eigenen Angaben rund 11 Millionen Mitglieder zählt. Die Sekte hat sogar einen politischen Arm, und zwar die Kōmeitō, welche sogar mit den Liberaldemokraten die Regierung formt. Ikeda war ein illustrer und sehr aktiver Sektenchef mit großem Einfluss nicht nur auf die Politik in Japan – auch im Ausland war er oft aktiv und wurde von vielen Spitzenpolitikern empfangen. Unter seiner Rigide wuchs die Zahl der Sektenmitglieder rasant an – sowohl in Japan, als auch im Ausland. Und es war auch Ikeda zu verdanken, dass die Komeito als politischer Arm gegründet wurde. Die Sekte hat nicht nur ihre eigene Partei, sondern sie betreibt auch eigene Kindergärten, Schulen und eine ziemlich große und renommierte Universität.

Nach dem Tod Ikedas setzte Premierminister Kishida einen Tweet auf der Plattform X ab, in dem er das Ableben Ikedas aufs tiefste bedauert und darauf verweist, dass der Sektenanführer im In- und Ausland fiel für Frieden, Kultur und Bildung beigetragen und so in der Geschichte einen großen Fußabdruck. hinterlassen hat:

Der Tweet, bisher immerhin von mehr als 60 Millionen gelesen, verunsicherte jedoch – zu Recht – Millionen von Japanern. So fragt jemand, ob dort der Mensch Kishida kondoliert oder der Premierminister Kishida. Ein anderer fragt, wie tief Kishida in seinen Umfragewerten den noch sinken möchte. Andere verweisen auf Paragraph 20 der japanischen Verfassung, welcher die Glaubensfreiheit sowie die Trennung von Religion und Staat regelt. Der Artikel hat einen ernsthaften Hintergrund, denn bis 1945 wurden nicht-shintoistische Glaubensgemeinschaften zum Teil stark verfolgt — darunter auch die Soka-Sekte. Der Shintoismus war Staatsräson und ein wichtiger Teil des Systems, denn es war der religiöse Eifer, der die Menschen auf die Schlachtfelder trieb, um sich dort dem Kaiser und der göttlichen Nation zu opfern. Ein laizistisches Japan war deshalb wichtig, um eine Wiederholung zu vermeiden.

In normalen Zeiten hätte der Tweet von Kishida vielleicht nur die eine oder andere gehobene Augenbraue zur Folge gehabt, doch die Sache mit der Mun-Sekte, auch Vereinigungskirche genannt, liegt noch nicht lange zurück. Die Verquickung jener Sekte mit zahlreichen Spitzenpolitikern kulminierte schließlich im Attentat auf Ex-Premier Shinzo Abe, was letztendlich zum Verbot der Sekte in Japan führte. Und wenn es eine Lehre für die japanischen Politiker aus dem Skandal um die Mun-Sekte gab, dann die, dass Politiker lieber ihre Hände von religiösen Angelegenheiten lassen, wie es ja auch die Verfassung verlangt. Aus diesem Grund sind die verbitterten Reaktionen auf Kishidas Tweet mehr als verständlich.

Zum Begriff „Sekte“: Der Duden definiert eine Sekte als

kleinere Glaubensgemeinschaft, die sich von einer größeren Religionsgemeinschaft, einer Kirche abgespalten hat, weil sie andere Positionen als die ursprüngliche Gemeinschaft betont, hervorhebt

— merkt dazu jedoch an, dass diese Definition veraltet. Das Wort „Sekte“ im Hinblick auf Soka Gakkai meint jedoch im Wesentlichen diese erste Definition. Die eher gebräuchliche, durchweg negative Konnotation im Deutschen findet sich in der zweiten Bedeutung im Duden:

kleinere Gemeinschaft, die in meist radikaler, einseitiger Weise bestimmte Ideologien oder religionsähnliche Grundsätze vertritt, die nicht den ethischen Grundwerten der Gesellschaft entsprechen

Diese Definition ist nicht ohne weiteres auf die Soka Gakkai anwendbar, doch selbige fiel in der Vergangenheit durchaus auch mit fragwürdigen Missionierungsmethoden auf. Auch der Gedanke, dass die Sekte eine eigene politische Partei und vom Kindergarten bis zur Universität eigene Bildungseinrichtungen hat, bereitet etwas Unbehagen. Andererseits läßt sich all dies auch 1:1
auf Deutschland übertragen, da es dort ja auch christliche Parteien und zahlreiche Bildungseinrichtungen und Organisationen mit kirchlicher Trägerschaft gibt.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

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