BlogWer hat Angst vor ChatGPT

Wer hat Angst vor ChatGPT

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Während in zahlreichen Ländern heftig diskutiert wird, wie man mit ChatGPT umgehen soll – Einschränkungen und Verbote sind ebenfalls im Gespräch – ist Japan bereits voll im Gange, die Lage zu bewerten und zu schauen, wie man mit ChatGPT leben kann. Am 10. April traf sich Premierminister Kishida sogar mit Sam Altman, dem CEO von ChatGPT-Betreiber OpenAI, um herauszufinden, was es mit ChatGPT auf sich hat und wie man sicherstellen kann, dass die KI sicher genutzt werden kann. Denn so viel ist klar — ChatGPT ist auch auf Japanisch ziemlich treffsicher und sorgt für allerlei bedenkliche und lustige Anekdoten. Tokyo Weekender veröffentlichte zum Beispiel vorgestern einen amüsanten Artikel mit dem Titel How ChatGPT is Disrupting Japan
– hier liess man ChatGPT eine Anfrage im Parlament schreiben – und verglich die Antwort, die Kishida darauf gab, mit der, die ChatGPT selbst gab. Die Antworten waren beinahe identisch. Natürlich hat ChatGPT auch in Klassenzimmern, Hörsälen und Büros Einzug gefunden – Sechstklässler lassen ihre 感想kansōbun – kurze Aufsätze, in denen sie schreiben sollen, wie sie dies oder das Buch fanden – mit ChatGPT schreiben, Oberschüler verfassen ihre Englischhausaufgaben mit ChatGPT, und Studenten nutzen das natürlich auch. Im Arbeitsleben wird die KI gern für das Verfassen von Präsentationen, Produktbeschreibungen, Bedienungsanleitungen und dergleichen benutzt. Ist ja auch schön praktisch.

Hier und dort hört man natürlich den einen oder anderen sagen, ChatGPT ist 怖いkowa-i – zu recht und aus verschiedenen Gründen. ChatGPT hat das Zeug, die Kreativität aus den Köpfen der Menschen zu löschen. ChatGPT erzeugt Unmengen an Text – ohne Quelleangaben, und es ist nicht erkenntlich, ob ein Mensch geschrieben hat oder eine KI. ChatGPT & Co. wird sehr viele Arbeitsstellen auslöschen – im kreativen Bereich, aber auch in der Bildung. Dazu gab bzw. gibt es zum Beispiel eine Werbung, in der eine Japanerin online Englisch lernt – sie sagt etwas völlig falsches, und ihr Gegenüber – eine amerikanische Muttersprachlerin – reagiert geschockt. Das „Spiel“, wie man so schön auf Englisch sagt: Solch peinliche Momente beim Spracherwerb passieren nicht, wenn man mit ChatGPT lernt. Und schon ist die Lehrer:in überflüssig. Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch – schließlich verliert man hier einen wesentlichen Teil zwischenmenschlicher Kommunikation und die Chance, aus Fehlern zu lernen – und mit echten Menschen umzugehen.

Doch während man noch grübelt, was die KI alles an Chancen und Gefahren birgt, machen erste Unternehmen – und Kommunen – bereits Nägel mit Köpfen. So gab die Stadt Yokosuka heute bekannt1, als erste Gemeinde in Japan ChatGPT für administrative Zwecke nutzen zu wollen – der ChatBot soll die interne und externe Kommunikation verbessern.

Natürlich beobachtet man genau in Japan, wie andere Länder mit der KI umgehen. Dabei wurde auch die Frage erörtert, ob ChatGPT womöglich auch in Japan verboten werden wird. Experten waren sich einig: Eher nicht. Dazu ist man in Japan viel zu technikfreundlich – und blauäugig. Trotz aller Liebe zu Excel-Tabellen und Faxgeräten – da ist mit Sicherheit etwas dran, und ChatGPT gibt dazu eine durchaus sinnvolle Antwort:

Japaner sind im Allgemeinen sehr technikfreundlich und haben einen Ruf als Vorreiter in der Technologiebranche. Die japanische Kultur und Gesellschaft schätzt Innovationen und technologische Fortschritte, die sich auf verschiedene Aspekte des täglichen Lebens auswirken, einschließlich der Arbeitswelt, des Wohnens und des Transports.

Japan ist bekannt für seine zahlreichen Unternehmen in den Bereichen Elektronik, Automobilbau, Robotik und anderen High-Tech-Industrien. Viele japanische Unternehmen sind auch weltweit führend in der Entwicklung und Herstellung von fortschrittlichen Produkten wie Mobiltelefonen, Kameras, Haushaltsgeräten und Videospielen.

Darüber hinaus hat Japan auch einen hohen Grad an Technologieadoption in der Bevölkerung. Viele Japaner nutzen täglich Technologie wie Smartphones, Tablets und Computer und sind oft frühe Anwender neuer Technologien.

Insgesamt ist es also angemessen zu sagen, dass Japaner sehr technikfreundlich sind und eine starke Kultur der Innovation und Technologie haben.

Als Verfasser von Webseiten, Büchern und Zeitschriftenartikeln macht mir ChatGPT natürlich auch etwas Angst – was ich in jahrzehntelanger Arbeit mühsam zusammengeschrieben habe, kann nun innerhalb von Stunden mit ChatGPT verfasst werden, und auf den ersten und vielleicht sogar zweiten Blick werden Leser das vielleicht noch nicht einmal bemerken. Es wird also nicht lange dauern, bis erste, größere Webseiten über Japan auftauchen, die fast ausschließlich von einer KI verfasst wurden.

  1. siehe hier
tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Der Weekender Artikel ist nett geschrieben.
    Mir hat ChatGPT geholfen ein Buch zu finden, hat aber ein bischen gedauert. Ich wusste weder Autor noch Titel und nur grob die Handlung. Der Chatbot hat mir ein paar Bücher vorgeschlagen, die ich zum gr0ßen Teil kannte und mag und wusste, dass sie es nicht waren. Es hat etwas gedauert bis ich ein Buch vorgeschlagen bekam, was alle Kriterien -Handlungsfetzen, an die ich mich erinnern konnte- erfüllte. Man sollte definitiv die Lösungen/Antworten überprüfen! ChatGTP erzählt ziemlich viel Grütze, wenn der Tag lang ist.

  2. Ich habe vor allem Zweites-Hand-Wissen aus Foren der IT-Szene und ein paar kleinere eigene Experimente gemacht. Aktueller Konsens scheint zu sein, dass ChatGPT ziemlich gut darin sei, selbstsicher zu jedem Thema etwas zu sagen. Bei oberflächlichen Informationen komme das auch oft noch hin, im Detail erfinde es dann aber anscheinend viel. Weil es aber plausibel klingt, muss man da sehr skeptisch sein und alles nochmal gegenprüfen.

    Bei der Technik scheint dieses Verhalten auch ziemlich logisch. Textmodelle sind ja darauf trainiert, Text plausibel fortzusetzen. Also kommt natürlich ein Text heraus, der plausibel klingt. Ob der dann auch faktisch richtig ist, ist dem Modell ja egal.

    Die Meinung in der IT-Szene geht meiner Beobachtung nach dahin, dass menschliche Inhalte wie dein Blog zukünftig eher wertvoller werden und es statt Suchmaschinen (die auch meiner Erfahrung nach inzwischen immer öfter auf Content-Farmen leiten) wieder vermehrt Netzwerke zwischen Websites geben könnte, wo man weiß, wer da schreibt.

    Meine eigenen Experimente waren zum Sprachenlernen. Ich hatte mal mit Dialogsystemen experimentiert. Das ist ganz nett, wenn man sich z.B. eine Szene am Bahnhofschalter vorgibt und dann ein Ticket kaufen muss. Hat auch nicht ideal funktioniert in der Dialogführung, das kann man aber vermutlich verbessern. Ganz gut geklappt hat Textgenerierung zum Üben, also quasi „Schreib mir einen Dialog zwischen einem Kellner im Restaurant und einem Gast“ oder „Schreib mir einen Text, in dem diese Wörter vorkommen: X, Y, Z“.

    • Interessant! Hatte mir neulich mit meiner Frau einen Spaß gemacht und ChatGPT benutzt, um ihre immer gleichen Fragen beantworten zu lassen. Wie verliere ich Gewicht? Muss ich wirklich dafür Sport machen? Resultat — langes Traktat mit 0815-Phrasen. Kürzer bitte! Klar — Diät ständig fortführen und viel bewegen. Da half nicht viel Diskutieren :)

    • Das sagst Du so einfach in Deinem jugendlichen Leichtsinn :) Ich habe über die vergangenen 3 Jahrzehnte gut verfolgt, wie sich die Algorithmen der Suchmaschinen ändern. Und sie ändern sich nicht zum Besseren. Content-Farmen und Larifari-Seiten mit viel Text und wenig Inhalt werden leider immer noch zu oft bevorzugt. Von Giganten wie Wikipedia und dergleichen mal ganz abgesehen. Als Einzelbetreiber hat man da einen schwereren Stand als früher. Mag allerdings auch ein bisschen daran liegen, dass ich mich gegen diverse Trends querstelle und mich nicht allzu sehr um Traffic schere…

  3. Damit machen sich die Leute, die ChatGPT einsetzen, doch selbst überflüssig, oder nicht?
    Ich frage mich auch, ob der generierte Text überhaupt qualitativ besser sein kann, als etwas was schon geschrieben wurde. Im Endeffekt ist das ja auch nur ein verbessertes Copy&Paste.
    Und immer problematisch ist, dass die KI nichts „versteht“, nur generiert. Ich denke da an Alexas Antwort auf eine Challenge…

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