Eigentlich ist es unglaublich und einfach nur traurig, dass ich nach 10 Jahren schon wieder einen Artikel über Hakamata Iwao verfassen muss, aber immerhin sind es positive Nachrichten. Heute sprach das Präfekturgericht von Shizuoka nämlich den Ex-Boxer und heute 88-jährigen von allen Vorwürfen frei. Mehr als 500 Unterstützer waren vor Ort – der Beschuldigte selbst allerdings nicht, und zwar aus gesundheitlichen Gründen.
Iwao Hakamata oder das lebende Plädoyer gegen die Todesstrafe
Hakamatas Fall ist mehr als skandalös: Die Polizei schob ihm 1966 einen vierfachen Mord in die Schuhe und berief sich zum einen auf Kleidungsstücke mit angeblichen Blutflecken, zum anderen berief man sich auf ein Geständnis, welches jedoch unter unglaublichem Druck auf den Angeklagten zustande kam und vom selbigen deshalb später widerrufen wurde. Das Gericht verurteilte ihn zum Tode, doch wie es in Japan noch immer üblich ist, wird das Todesurteil irgendwann, dann aber plötzlich vollstreckt. Ganze 48 Jahre verbrachte Hakamata so in Einzelhaft mit verschärften Auflagen und nahezu null Kommunikationsmöglichkeiten, nicht wissend, ob er den nächsten Tag noch erleben wird oder nicht.
Das allein ist schon spektakulär. Sowohl Hakamata als auch seine Unterstützer, in erster Linie seine Schwester, aber auch Gegner der Todesstrafe, kämpften jahrzehntelang gegen widerfahrenes Unrecht, bis ein Gericht vor 10 Jahren endlich urteilte, dass der Fall neu verhandelt werden muss, da es klare Anzeichen gäbe, dass die Polizei nicht sauber ermittelte. Der Delinquent durfte für diese Zeit und nach fast 50 Jahren das Gefängnis verlassen.
Es ist damit das fünfte Mal seit Kriegsende, dass in Japan ein zum Tode Verurteilter freigesprochen wurde. Wie hoch die Dunkelziffer ist, kann niemand sagen, denn allein die Tatsache, dass ein Gericht die Neuverhandlung anordnet, hat in Japan Seltenheitswert: 99% der nach japanischem Strafrecht Verurteilten bleiben verurteilt.
Das Augenmerk liegt nun — mal wieder — auf der Anklage, die zwei Wochen Zeit hat, in Revision zu gehen. Die Anklage vertritt die Polizei, die sich störrisch weigert, Fehler zuzugeben. Dass nach 19 Verhörtagen am Stück, mit 12 Stunden und länger anhaltenden Verhören pro Tag so ziemlich jede Person so ziemlich alles zugeben wird, sollte klar sein: Das Geständnis von Hakamata war erpresst und hat keinen Wert. Das Hauptbeweisstück in dem Fall, Kleidungsstücke, die man über ein Jahr nach dem Fall in einer Misofabrik gefunden haben will, war ebenso schon immer fragwürdig: Die Kleidung war die ganze Zeit in einem Fass mit Miso versteckt und wies angeblich dunkelrote Blutflecken auf, was aber sehr unglaubwürdig erscheint: Steckt man Kleidungsstücke mehr als ein Jahr in vor sich hin fermentierende Bohnenpaste, bleiben ganz sicher keine dunkelroten Flecken zurück.
Die Mainichi Shimbun merkt in ihrer Kolumne zum Thema richtig an, dass die Polizei hier mit ihrer Glaubwürdigkeit spielt und viel Vertrauen verlieren wird, wenn sie weiterhin störrisch auf ihre Version der Dinge pocht und in Revision geht.
Die Shizuoka Shimbun (shinbun = Zeitung) hat zum Thema ein 360 Grad-Video (am besten mit einem VR-Gerät sehen – geht aber auch ohne) gedreht, in dem auf bedrückende Weise die Verhöre nachgestellt werden.