Am Sonnabend wurde in Japan gewählt – rund die Hälfte der Sitze im Oberhaus galt es neu zu besetzen. In Zahlen waren dies 125 von 248 Sitzen. Die ewig regierenden Liberaldemokraten hatten ja bereits im Vorjahr bei den Unterhauswahlen die Mehrheit eingebüßt – das schlug ein wie eine Bombe, denn das Unterhaus hat in Sachen Haushalt und Gesetzgebung das letzte Wort. Doch auch das Oberhaus ist wichtig bei der Gesetzgebung, und der Verlust der Mehrheit ist ein schwerer Schlag für die amtierende Regierung.
Die Niederlage war erwartet worden. Vor den Wahlen hatten die Regierungsparteien (Liberaldemokraten mit dem Juniorpartner Komeito) 141 von 248 Sitzen inne – nach den Wahlen hat die Opposition 125 Sitze und damit drei Sitze mehr als die Regierungsparteien. Doch was bedeutet dies?
Im Prinzip gibt es jetzt drei Optionen:
- Die Liberaldemokraten machen weiter – mit einer Minderheitsregierung
- Die Liberaldemokraten koalieren neben der Komeito mit einer weiteren Partei
- Die Oppositionsparteien raufen sich zusammen und bilden eine neue Regierung
Wie wahrscheinlich sind diese Optionen? Was Option 1) einbelangt, kann das nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Premierminister Ishiba hat heute bereits bekanntgegeben, dass er aus der Wahlschlappe keinerlei Konsequenzen zu ziehen gedenkt. Er möchte weitermachen –und er sagt auch warum: Nur die Liberaldemokraten seien ein Garant, Japan sicherheitspolitisch, aber auch in Sachen Katastrophenschutz kompetent regieren zu können. Das Problem: Zwar sind Katastrophenschutz (Stichwort Nankai-Trog-Erdbeben) und die veränderte Sicherheitslage (aggressives Russland im Norden, unberechenbarer Verbündeter USA, immer dreister agierende VR China) in der Tat wichtige Angelegenheiten, doch DAS Problem vieler Japaner ist derzeit eher die Tatsache, dass die Inflation immer noch anhält, die Gehälter jedoch nicht entsprechend steigen.
Doch zur Option 2: Die Oppositionsparteien fordern unisono beträchtliche Steuersenkungen – favorisiert wird hier vor allem eine Reduktion oder gar Abschaffung der (zur Zeit 10-prozentigen) Mehrwertsteuer, wenn nicht für alles, dann doch wenigstens für Lebensmittel. Das lehnen die Liberaldemokraten ab, und deshalb ist – noch zumindest – keine Oppositionspartei bereit, mit den Liberaldemokraten zu koalieren. Diese Option sieht zur Zeit also recht unwahrscheinlich aus, aber das kann sich natürlich schnell ändern, wenn die Liberaldemokraten bereit sind, Zugeständnisse zu machen.
Option 3 ist die am wenigsten wahrscheinliche Option – zumindest nicht in Form einer Mehrheitsregierung, denn der Vorsprung aller Oppositionsparteien beträgt nur 3 Sitze. Dementsprechend müssten ALLE Oppositionsparteien an einem Strang ziehen, doch es gibt insgesamt 9 Oppositionsparteien mit Sitzen im Parlament – 6 von ihnen haben drei oder mehr Sitze. Das Spektrum der Opposition ist zu breit und unvereinbar, denn von den Kommunisten (die allerdings nicht teil der Komintern und vergleichsweise gemäßigt sind) bis zur weit rechts angesiedelten Sanseitō ist alles dabei. Möglich wäre hier eine Minderheitsregierung, aber die stünde auf sehr schwachen Füßen.
Das enfant terrible im Japanischen Oberhaus ist nun die Sanseitō – die hatten vorher nur einen Sitz im Oberhaus, doch man erwartete bzw. befürchtete, dass sie nun bei zwischen 10 bis 22 Sitzen landen könnten. 14 Sitze sind daraus geworden. Das japanische AFD-Pendant ist damit nun eine feste Größe im Parlament. Besonders im Süden der Präfektur Gunma und in einigen Gemeinden im Süden von Saitama war die Sanseitō besonders stark – hier ging sie sogar in einigen Teilen als Wahlsieger hervor.
Dass die Liberaldemokraten sowohl im Oberhaus als auch im Oberhaus die Mehrheit verlieren ist ein historisches Ereignis – zuletzt war dies 1955 der Fall. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass sich nun schnell etwas tun wird ist aus oben genannten Gründen relativ gering, zumal Premierminister Ishiba beweist, dass er ein bemerkenswert dickes Fell hat. Ob das Wahlvolk von dem Ergebnis etwas hat, bleibt abzuwarten: Die Liberaldemokraten versprachen vor der Wahl jedem 20’000 Yen, doch das wird so nicht mehr geschehen. Und ob die Mehrwert- oder eine andere Steuer nun gesenkt wird, steht in den Sternen, zumal niemand (ausser der Kommunistischen Partei, versteht sich) konkrete Vorschläge zur Gegenfinanzierung hat. Der Erfolg der Rechtspopulisten von der Sanseito wiederum ist besorgniserregend – zeugt es doch davon, dass auch das japanische Wahlvolk nicht vor Lügnern und Populisten gefeit ist.
Auf der positiven Seite steht die Wahlbeteiligung – die war mit rund 58% mehr als 6% höher als beim letzten Mal. Zudem wurden dieses Mahl so viele Frauen wie nie zuvor in das Parlament gewählt – 42 der 125 neu vergebenen Sitze gingen an Politikerinnen.