BlogNeu! Jetzt noch schlimmer! - Japanische Innenpolitik

Neu! Jetzt noch schlimmer! – Japanische Innenpolitik

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So einen katastrophalen, schlichtweg irrwitzigen Start der neuen, frischen Regierung Japans hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt. Dass es etliche negative Überraschungen gibt, war ja klar. Die meisten hatten auch damit gerechnet, dass sich nicht allzu viel ändern wird. Tut es aber doch: Es wird alles noch schlimmer! Wieso?

– Die Demokraten versprachen, rücksichtslos mit Spendensümpfen und anderen Ungereimtheiten aufzuräumen. Alles sollte sauber und transparent werden.


Resultat: Ministerpräsident Hatoyama selbst scheint ordentlich Dreck am Stecken zu haben – über Jahre hinweg waren seine Spenden falsch ausgewiesen – viele angebliche Spender lebten gar nicht mehr oder wussten von der Spende gar nichts. Zumal jetzt auch die Behauptung im Raum steht, er habe sich von seiner Mutter (entstammt der Gründerfamilie von Bridgestone) ca. 900 Millionen “geliehen” (wäre es geschenkt, müsste er nämlich Steuern zahlen). Klar, wir “leihen” uns mal eben 6 Millionen Euro von unserer Mutter!


Das Postengeschacher für Ex-Politiker sollte aufhören – zu viel Lobbyismus. Stand gross im Programm der Demokraten.


Wen ernennen wir dann also zum Vorstandsvorsitzenden der frisch privatisierten Post? Natürlich! Einen Ex-Parteigenossen!


Dem sinnlosen Verschwenden von Steuergeldern sollte Einhalt geboten werden. Es muss gespart werden, um ein paar der Wahlversprechen zu halten.


Dazu wurde eine Kommission ins Leben gerufen, die sich mit “事業仕分け” jigyō shiwake (Aufgabenverteilung) befasst: Dort geht es wie bei der spanischen Inquisition zu: Die Leiterin der Kommission, Frau 村田蓮舫 (Murata Renhō), lädt Vertreter der einzelnen Resorts zu sich und zerpflückt dort schnippisch die Etats der einzelnen Ministerien. Frau Murata ist hochintelligent (laut Vita) und war einst auch Model und Fernsehmoderatorin. In dieser Woche war der Forschungs- und Entwicklungshaushalt dran: Frau Murata dort: “Warum muss Japan eigentlich weltweit die Nr. 1 in Sachen Forschung anstreben? Reicht nicht auch Nr. 2 oder Nr. 3?” Und flugs wurden ein paar wichtige Projekte gestrichen.
Ist klar, Frau Murata! Das rohstoffreiche Japan kann ja schliesslich immer noch Sushi und Manga exportieren, wenn es mit der Forschung nicht mehr klappt! Sehe ich diese Frau bei ihrer Arbeit, wird mir einfach nur übel.


A propos Wahlgeschenke: Ein Grund, warum sehr viele Japaner die Demokraten wählten, war deren Versprechen, das Kindergeld ordentlich zu erhöhen und zu verlängern.


Und da wird es auch schon lustig: Denn das mit dem höheren Kindergeld wird durch andere Steuern bzw. der Streichung von Freibeträgen finanziert, will heissen, das Kindergeld kommt nicht etwa allen Familien mit Kindern zugute – ein wirkliches Plus erreicht nur eine kleine Gruppe von Kindern mit Eltern (z.B. wenn beide arbeiten, sie zwei Kinder haben und beide Kinder unter 16 Jahre alt sind).
Und – als ob das nicht reichen würde – seit dieser Woche ist plötzlich von einer Einkommensgrenze bezüglich des Kindergeldes im Gerede. Noch dementiert Hatoyama, aber er dementiert recht leise.

Ich könnte noch mehr aufführen. Aber ich denke, das reicht für die Bilanz nach den ersten Wochen.
Das Wort des Tages: イライラする iraira suru. iraira = zornig, wütend. suru – hier: sein. Nachrichten aus der momentanen Innenpolitik machen mich echt wütend.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

17 Kommentare

  1. Hallo Tabito!
    Ich kann zwar verstehen, warum du es für falsch hälst das die Bereiche Forschung und Entwicklung unter dem neuen Spardiktat leiden (hierzu hat hat Janne einen guten Beitrag geschrieben: http://janneinosaka.blogspot.com/2009/11/state-project-reviews.html)
    aber es ist natürlich schon so das die besser verdienenden Schichten (gehörst du zum oberen Drittel?) in dieser Situation (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31551/1.html) einen größeren Anteil schultern müssen als die ärmeren Schichten. Natürlich könnte man sich auch eine Gesellschaft vorstellen in der es nicht vom Besitzstand und dem Einkommen abhängt was der Einzelne zahlt, aber genau genommen was für eine Gesellschaft wäre das schon.
    Ich bin für eine Gesellschaft die
    versucht die Produktivität der Arbeit zu verbessern. Wohlgemerkt nicht die Rendite des Arbeitgebers pro geleisteten Arbeitslohn (Taylorismus = http://de.wikipedia.org/wiki/Taylorismus). Das eine dient dem Wohlstand der Gemeinschaft das andere dem Wohlstand des Investors (u.U. Geldadels). Produktivität lässt sich widerum nur durch Forschung und Entwicklung steigern – diese bilden die Grundlage für Investitionen in die Infrastruktur von Ländern und privaten Unternehmen.
    Wenn dies geschickt umgesetzt wird gilt das Sprichwort “A rising tide lifts all boats.”

    Eine andere Erklärung für unseren gegenwärtigen Wohlstand gibt es meiner Meinung nicht. Wir haben uns ein wenig zu sehr zurück gelehnt und ein wenig zu sehr auf die Waagschale der möglichen Probleme und Gefahren geschaut und die möglichen Vorteile und Gewinne neuer Technologien dabei vernachlässigt. Wir sind wohl als Menschheit an einem Punkt angelangt an dem wir uns eine solche Haltung nicht mehr leisten können (wenn wir den größten Teil der Menschen nicht verhungern lassen wollen)…

    Und so lässt sich der Bogen vom kleinen Japan zur großen Weltpolitik spannen (grin)…

  2. @Rover
    Nein, ich gehöre nicht zum oberen Drittel.
    Allerdings finde ich prinzipiell – vor allem in Japan – zwei Trends fatal: 1) an der Forschung sparen zu wollen und 2) die katastrophale Familienpolitik. Beides mag für etliche Jahre funktionieren, aber zukünftige Generationen werden dafür bestraft. Die demographische Misere macht sich schon jetzt sehr bemerkbar – und das ist erst der Anfang.

    Ansonsten sind wir einer Meinung. Das mit der Einkommensgrenze für das Kindergeld geht natürlich in Ordnung – jedoch: solche Sachen sollten im Idealfall klar vorher umrissen werden – und nicht erst im Nachhinein untergejubelt werden. Das Problem dabei ist auch weniger die Einkommensgrenze, sondern die anderen Bedingungen, die langsam offensichtlich werden: Eine Familie, bei der beide arbeiten, wird das ganze einen positiven Effekt haben. Bei Familien, in denen nur Eine(r) berufstätig ist, wird sich kaum etwas oder sogar zum negativen ändern. Bei mangelnden Kinderkrippen- und Kindergärtenplätzen ist das sehr bedenklich.

  3. Wenn man von der Inkompetenz der Frau Murata einmal absieht, ist das alles nur ganz normale Politik, imo.

    Meine Freundin hat auch nur die Schultern gezuckt, als sie von Hatoyamas “Spenden”-millionen gehoert hat. Nach dem Motto “machen doch eh alle!”.

    Wenn man bedenkt, wieviel Geld da in den Haenden der japanischen Spitzpolitiker zirkuliert, ist jeder einzelne Veruntreuungs/Bestechungs etc. Skandal wohl eher die Bestaetigung der Regel als die beruehmte Ausnahme …

  4. @Rover
    was passiert wenn man in der Forschung spart sieht man ja in Deutschland, ein Land der Agrawirtschaft. Oder gibt es EINE moderne Hochtechnologie wo Deutschland noch mitredet?

    Und ja Autos sind wie Kohle und Stahl sowas von gestern… Technologisch.

  5. Nun, mit der japanischen Innenpolitik kenne ich mich nicht aus. Aber wenn wirklich ein echter Neuanfang erwünscht ist, dann muss man auch unpopuläre Entscheidungen treffen und dabei auch in Kauf nehmen, dass man selbst zurückstecken muss. Gerade bei einem “Neuanfang” ist es doch besonders wichtig, dass niemand einseitig bevorzugt wird. Natürlich sind Forschung & Familien wichtig für die Zukunft des Landes, aber bei einer Verschuldungsrate von weit über 100% des BIP wird man wohl auch in diesen Bereichen an der einen oder anderen Stelle sparen müssen.

  6. Wird moderne Consumer Elektronik in Deutschland produziert?
    Wenn ja dann sind Labels von Panasonic o.ä. drauf.
    z.B. Handys? Fehlanzeige seit Siemens platt und Nokia weg ist.

    Viele Forscher der “Biotechnologie” wandern immer noch ab weil es in Deutschland keine passende Forschungslandschaft mehr gibt.

    Ich habe erster Hand erlebt wie Deutschland als Forschungsstandort abgewirtschaftet wurde und das seit 1985. Seit dem erlebe ich das live und in Farbe wie immer mehr Firmen ihre F&E Abteilungen wegrationalisieren.
    Begründung? Typisches BWLer Geschwalle von mangelnder Rendite in den entsprechenden Zeitrahmen.
    (F&E macht halt keinen quartärlichen Profit in 2stelliger Prozentzahl)

    Ich habe von so einem Futzi schon mal zu hören bekommen, das es billiger ist mit ev. Kundenreklamationen zu leben, als eine Qualitätskontrolle mit angeschlossener F&E Abteilung zu haben, die “Fehlproduktionen” aktiv zu verhindern versucht.
    Der Begriff Imageschaden war ihm Unbekannt, das kann man sich leisten wenn man quasi “Monopolist” ist. Gibt ja auch genug Beispiele in der Softwareindustrie wo sogenannte Bananna-ware (Ein Begriff den ich von einem Siemens-Mitarbeiter lernte) produziert wird. Wird schon beim Kunden von Alpha nach Beta entwickelt.
    Verkauft man dann als “Kundennahen” Entwicklungsprozess.

  7. Michael: Gerade Unterhaltungselektronik hat doch in Europa generell keinen eigenen Fuß. Alleine Philips hält da so einigermaßen die Fahne hoch sonst ist der Rest im Grunde alles Südkoreanisch und Japanisch.

    Mit Biotechnologie kenne ich mich zu wenig aus…

    In der Softwareindustrie warte ich eigentlich nur auf den großen Knall. Viele Arbeitsplätze sind sehr unattraktiv gemacht worden, so scheint es mir. Viele Überstunden, “Kreativität vom Fließband” (Zitat eines Nutzers des heise-Forums), hoher Termindruck, usw. Bin selbst kein großer Programmierer, aber das hat mir wirklich gesagt “Werde alles, nur kein Entwickler”. Aber das ist vom Thema weg.

    Wenn du von Deutschland redest, dann klingt das so als ob wir hier gnadenlos untergehen würden, aber es ist auch Tatsache, dass es hier auch Bereiche gibt, wo man zu den Großen zählt. Energietechnik, Entwicklung physikalischer Forschungsgeräte, Lautsprechertechnik (Ganz nach dem Motto: Die Japaner liefern den Fernseher, wir die fette Anlage) und sicher noch ein paar mehr. Im Forschungszentrum Jülich meinte im Übrigen ein Doktorand, dass Forschung national kaum mehr möglich ist – und ein paar Minuten stand unsere Gruppe auch schon am Rande eines Plakates über SQUIDs mit etlichen Namen drunter. Deutsche, japanische, amerikanische, indische…

    Aber wie auch immer, der Feind ist immer der BWLer und wenn ich im Gebäude des Wirtschaft-Fachbereiches bin, halte ich mich mit BWLer-Witzen auch nicht zurück. :>

  8. @Marcus

    nein, nicht mehr da haben wir uns von den Chinesen ausbooten lassen.

    @Klaus
    Du hast meiner Meinung nach Recht. Bei so einer hohen Verschuldung muss man einfach sparen sonst kommt man da nie wieder heraus. Aber ich stimme da Michael auch zu man darf nicht am falschen Ende sparen. Gerade aus so einer Krise kann stärker als je zuvor hervorkommen wenn man nachhaltige Investitionen macht. Was glaubt ihr was wohl das deutsche Wirtschaftswunder war? Investitionen in F&E sowie in Familien wären genau das was Japan jetzt braucht. Meiner Meinung nach könnten die Japaner lieber bei ihrem offiziell nicht vorhandenem Militär sparen. Ein Land das kein offizielles Militär hat braucht keine Flotte mit amphibischen Landungsschiffen und zwei!!! Hubschrauberträgern die sich mit ein paar Handgriffen zu Flugzeugträgern umfunktionieren lassen, und noch ein paar ganz andere Sachen.

  9. Also ich will mal die BWLer etwas in Schutz nehmen hier. Money matters. So einfach ist das. Forschung und Entwicklung ist wichtig und hohe Budgets sind natürlich toll, aber irgendwo muss das Geld ja herkommen. Egal was: Am Ende ist ein Blick auf das Jahresergebnis wichtig und Forscher und Entwickler müssen doch auch einfach mal begreifen, dass der Druck und die Limits nicht dafür da sind ihnen das Leben schwer zu machen, sondern um Projekte nach klaren Maßstäben bewerten zu können.

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