Blog5 Jahre danach

5 Jahre danach

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Fünf Jahre ist es nun schon her, dass der ganze Norden Japans bebte. Und ich muss mich noch nicht einmal großartig konzentrieren, um die Bilder und Gefühle wieder hochkommen zu lassen. Die Sorge. Das Wort trifft es zumindest in meinem Fall besser. Es war Sorge, nicht Angst. Sorge davor, alles hier zu verlieren. Sorge davor, dass mein erst vier Wochen zuvor geborener Sohn, von seiner damals erst 4-jährigen Schwester mal abgesehen, zur falschen Zeit am falschen Ort sind und wir zu Flüchtlingen werden. Sorge davor, dass die Panikmacher vielleicht doch recht haben könnten und Fukushima die weite Umgebung inklusive Tokyo unbewohnbar macht. Sorge davor, dass es innerhalb weniger Jahre zu einem richtig schweren Erdbeben direkt unter Tokyo kommen würde. Sorge davor, dass die Politik entgegen jeglichen gesunden Menschenverstandes wieder die nuklearen Meiler anwerfen würden.

2 km landeinwärts in Minami-Sōma, Fukushima
2 km landeinwärts in Minami-Sōma, Fukushima

Was hat sich bewahrheitet in den 5 Jahren? Waren die Sorgen berechtigt? Nun, Tokyo ist bekanntermassen noch bewohnbar. Es gab – bisher – kein schweres Erdbeben direkt unter der Hauptstadt (auch wenn gesagt wurde, dass dies mit einer Wahrscheinlichkeit von 70% in den folgenden 4 Jahren eintreten würde). Ich bin mit auf die Straße gegangen, um gegen Atomkraft zu demonstrieren (eigentlich plädiere ich für Nichteinmischung, denn ich bin Deutscher, kein Japaner – aber es geht um meine Kinder). Und trotzdem haben die Irren begonnen, die Meiler wieder anzuschalten. Fukushima wird gereinigt, doch man ist gerade erst am Anfang. Japan stellt entsetzt fest, dass man überhaupt nicht weiß, wie es mit dem ganzen radioaktiven Müll weitergehen soll. Ich habe mit der Familie die Stadt, in der wir wohnten, hinter mich gelassen, denn die war zur Hälfte zerstört.
Irgendwann kehrt man zur Normalität zurück. Man hat ja keine andere Wahl. Und zu den Jahrestagen werfen mal diese, mal andere mit mehr oder weniger gekonnten Beitägen zum Thema Fukushima um sich. Neutral scheint keiner dabei zu bleiben – die deutschen Medien schon mal gar nicht. Bleibt nur zu hoffen, dass uns in absehbarer Zeit eine neue Katastrophe erspart bleibt. Ein Mal reicht.
Ach ja: Auch die Filmemacherin Doris Dörrie hat dem Thema nun ein Film gewidmet. Ob er was taugt? Ich weiß es nicht. Wenn ja, wäre ich überrascht.

Falls jemand über gute Reportagen oder Artikel stolpert, bitte her damit. So lange es nicht von RT oder DWN ist, schaue ich gern rein.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

12 Kommentare

  1. Ich kenne nur eine japanische Dokumentation. “155 Tage nach dem Erdbeben”, das hat mich schon beruehrt. Der Titel nennt sich 東日本大震災155日の記録
    Ob man das im Internet sehen kann, habe ich nnoch nicht recherchiert.
    Aber wie du schon gesagt hast, subjektiv ist scheinbar keiner so richtig. Selbst japanische Dokus sind fuer meinen Geschmack nicht subjektiv genug, leider. Es macht es schwer fuer Auslaender zu verstehen was wirklich war und ist.
    Und fuer uns Auslaender die in Japan leben ist es schwer das Gefuehl den Verwanten und Bekannten zu vermitteln, da die Medien das nicht korrekt wiederspiegeln. Dies ist zumindest meine persoenliche Meinung.

  2. Dein Beitrag zu dem Thema geht mir sehr nahe. DANKE.
    Fukushima liegt mir wirklich am Herzen. Ich selbst habe einige Jahre in der Stadt gelebt und mein Mann ist dort geboren und aufgewachsen. Meine Freunde leben dort und die Familie meines Mannes.
    Fukushima ist für mich ein Ort, in dem ich mich zuhause fühlte. In Deutschland ist Fukushima ein Synonym für Atomkraft geworden. Und es tut weh, dass hier oft vergessen wird, dass dort Menschen leben.
    Ich schreibe gerade eine ganz persönliche Reihe aus 3 Teilen zu diesem Thema auf meinem Blog. Schau gerne mal vorbei und sag mir, was du denkst.
    Beim Lesen deines Artikels ist mir aufgefallen, dass ich noch viel zu wenig auf die Eltern mit ihren Kindern eingegangen bin. Die Sorgen um ihre Kinder, aber auch die Schuldgefühle vieler, die entschieden haben, zu bleiben und sich jeden Tag fragen, ob es die richtige Entscheidung war. Ich möchte, ganz ehrlich, niemals solch eine Entscheidung treffen müssen.
    Grüße aus Berlin,
    Daniela
    P.S. Ich hatte die Möglichkeit, den Film von Doris Dörrie zu sehen, war sehr skeptisch, aber mich hat er berührt.

    • Sehr gut geschrieben! Ich bin vorher schon auf Deine Seite gestossen, und natürlich habe ich da auch die Bio gesehen. Es ist schon traurig, dass die Stadt, beziehungsweise die gesamte Präfektur im Ausland nun immer unangenehme Assoziationen wecken wird.
      Ja, mit Kindern sieht das ganze wirklich anders aus, und wir haben in Tokyo genug gebangt (ich hatte meine gesamte japanische Familie zur Evakuierung gedrängt, so dass alle 5 kleinen Kinder in Sicherheit waren). Was jedoch junge Eltern in Fukushima durchmachen mussten und müssen, ist nur sehr, sehr schwer begreifbar.

  3. Guten Tag,
    es wurden in den letzten Jahren mehrere Artikel zum Thema Fukushima im Physik Journal veröffentlicht.
    Frei und online abrufbar sind allerdings nur mindestens 3 Jahre alte Artikel, z.B. http://www.pro-physik.de/details/articlePdf/1491957/issue.html
    Neuere Berichte nach 2,5 Jahren sind hier:
    http://www.pro-physik.de/details/physikjournalArticle/5115171/Lokaltermin_in_Fukushima.html
    Und der aktuelle Stand hier:
    http://www.pro-physik.de/details/physikjournalArticle/8939371/Fukushima__fuenf_Jahre_danach.html
    Ob es eine Möglichkeit für Sie gibt darauf vollen Zugriff über die Zusammenfassung hinaus zu erhalten kann ich allerdings grade nicht sagen.
    Nach einer Onlineregistrierung sollten immerhin aktuelle Artikel über das Tschernobyl-Unglück einsehbar sein.
    Mit freundlichem Gruß,
    Fabian

  4. >Es war Sorge, nicht Angst. Sorge davor, alles hier zu
    >verlieren.
    Und ich dachte, die besonnene, immerzu informative und perfekt organisierte Reaktion der Deutschen Botschaft hätten Deine Sorgen alle wettgemacht… :-)

  5. Wie immer, schöner Artikel!
    Mich bugged aber deine letzte Aussage über RT. Hast du irgendein Problem mit denen? Das ist einer der weltweit fünf grössten Newschannels. O_o
    Oder haste damals inner DDR irgendwelche schlechte Erfahrungen gemacht? (lol)

  6. Ich habe eine Reihe von Dokus darüber angeschaut und das was passiert ist und wie es aussieht jetzt und wie dort die Menschen wohnen, lässt schon einen zum Nachdenken verleiten, dass die Japaner wirklich mutig sind

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