Sprache ändert sich, sonst wäre es eine tote Sprache. Das gilt natürlich auch für das Japanische, doch manche Änderungen passieren schleichend – und wer nicht aufpasst, kann irgendwann schnell missverstanden werden. Als Beispiel tauchen da in vergangener Zeit vor allem Satzabschlusszeichen auf: So richtig in Gebrauch kamen diese in Japan erst im 19. Jahrhundert, und im Prinzip gibt es zwei Arten:
。 (maru)
.(piriodo = period)
— beide werden 句点 genannt, wobei das “maru” mit Abstand am gebräuchlichsten ist. Man benutzt den Punkt bzw. meistens eben den Kreis überall – in der Zeitung, im Internet, in Büchern usw. Doch seit einiger Zeit hört man, das der Punkt vor allem bei der jüngeren Generation scheinbar verpönt ist. Vor zwei Jahren zum Beispiel erschien ein kleiner Artikel1, bei dem Menschen verschiedener Altersgruppen zum Gebrauch von “maru” befragt wurden. Denn seit mindestens zwei Jahren geht das Gerücht um, dass vor allem die jüngeren Menschen den Punkt als 怖い, also als “bedrohlich” empfinden. Nur drei von fünfzig 40-50-Jährigen gaben dabei an, den Punkt als bedrohlich zu empfinden – bei den 10-20-jährigen gaben 20 von 50 an, dies so zu empfinden.
Erklärt wird das ganze durch die neuen Kommunikationsformen, allen voran LINE (dem japanischen What’s App-Pendant) und Email. Wer dort einen kurzen Satz oder einen Gruß mit einem Punkt beendet, fällt offensichtlich bei den Jüngeren unangenehm auf, da der Punkt von ihnen als absoluter Schlußpunkt, nach dem Motto “Widerrede wird nicht geduldet” empfunden wird.
Anstatt
よろしくお願いします。
sollte man also eher
よろしくお願いします!
oder
よろしくお願いします🙏
oder ein anderes Emoji oder einfach gar nichts am Ende verwenden.
Natürlich gibt es auch diverse Wörter, die im Sinne eines korrekten Sprachgebrauchs in die Schusslinie kommen, aber die Dimension diesbezüglicher Änderungen ist im Vergleich zu dem, was im Deutschen in den vergangenen Jahren geschehen ist, fast vernachlässigbar. Die Tatsache, dass Japanisch bis auf wenige Ausnahmen sprachlich gesehen geschlechterneutral ist, hilft dort natürlich, und bei einigen Wörtern, die langsam aus der Mode fallen, ist das zumindest für deutsche Muttersprachler, die im Erwachsenenalter japanisch gelernt haben, nicht verwunderlich. Zu diesen Wörtern gehören zum Beispiel
奥様 – in der heutigen Bedeutung “Ehefrau”. Der Begriff wurde einst nur von Samuraifamilien benutzt und bezog sich darauf, dass die Gemahlinnen früher meistens in den hinteren Zimmern der meist prächtigen Anwesen zugange waren und selten in Erscheinung traten. Diese Bezeichnung war ehrerbietend und galt den Gemahlinnen anderer Menschen, nicht der eigenen Ehefrau. Heute benutzt fast jeder diesen Begriff, doch bei genauer Betrachtung “die in der Ecke/ganz hinten ist”, klingt dieser Begriff schon stark unzeitgemäß.
Etwas extremer ist ein anderes Beispiel – 美白 – wörtlich also “schön + weiß”, was sich auf besonders helle Haut bezieht und gern auch von der Kosmetikbranche benutzt wird. Es gibt sogar immer noch Produktreihen mit diesem Wort im Namen. Eine möglichst helle Haut gilt in Japan als Schönheitsideal — doch wie es eben so ist, haben nicht alle Menschen eine weiße Haut – die einen sind dunkler, die anderen weniger dunkel. Der Begriff impliziert jedoch, dass alle mit nicht heller Haut nicht schön sind, was natürlich bei vielen unangenehm aufstößt. Es wird jedoch sicher noch eine lange Zeit brauchen, bis der Begriff “Bihaku” verschwindet…
- siehe hier
“Japanisch geschlechterneutral” hat mich ein wenig überrascht. Sicher, in der Grammatik spielen Geschlechtsformen keine Rolle, aber die Ausdrucksweise von Frauen und Männern finde ich doch sehr verschieden z.B. boku, ore, meshi wird doch eher nicht von Frauen benutzt oder die Vorsilbe “o” z.B. oniku ist doch mehr den Frauen vorbehalten……
Sehe ich das falsch?
Ich glaube Matthias hat hier ein bisschen unsauber formuliert. Er weiss natürlich von Sexolekten im Japanischen.
Vielen Dank, da hast du vollkommen recht.
Ja, Hanayagi-san hat das gut klargestellt. Das war in der Tat undeutlich formuliert – es ging weniger um Sexolekte sondern mehr um das, was im deutschen Sprachraum das „Gendern“ triggert, in erster Linie also um Bezeichnungen von Bevölkerungsgruppen