BlogJapan versinkt im Plastikmüll: Der "China-Schock" und seine Folgen

Japan versinkt im Plastikmüll: Der "China-Schock" und seine Folgen

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Wo wir erst neulich beim Thema Plastikmüll waren: Allmählich spitzt sich in Japan die Müllkrise zu, und diese Krise war eine mit Ansage. Bis zum vergangenen Jahr exportierte nämlich Japan fast seinen kompletten Plastikmüll nach China: Allein im Jahr 2017 waren es rund 625’000 Tonnen Müll. Knapp 430’000 Tonnen wurden direkt in die VR China exportiert, und knapp 200’000 Tonnen nach Hongkong, wobei diese Menge natürlich auch in der VR China landete. Japan war damit nicht allein — andere Länder luden ihren Müll ebenfalls dort ab — allein Großbritannien verfrachtete im Schnitt 1’200 Tonnen pro Tag nach China². Laut Global Trade Atlas importierte die VR China in den 2010ern circa 8 Millionen Tonnen Plastikmüll pro Jahr.
Sicher, das brachte dem Land Geld ein — doch China ist an einem Punkt angelangt, an dem es sich leisten kann, abzuwiegen, was wichtiger ist: Müll als Einnahmequelle oder die Zerstörung der eigenen Umwelt. 2017 entschied man sich für letzteres: Man beschloss, bis Ende des Jahres 2017 die Einfuhr von insgesamt 24 Abfallarten nahezu vollständig zu verbieten. Dazu zählen Plastikmüll (wie zum Beispiel Getränkeflaschen aus PET), unsortiertes Altpapier, Textilmüll und Stahlschlacke. Der Einfuhrstopp kam so abrupt, dass man in Japan vom 中国ショック China-Schock spricht.
Reflexartig verlegten sich japanische Recyclingfirmen auf kurzfristige Alternativen: Man suchte im ASEAN-Raum nach anderen Abnehmern und wurde natürlich fündig. Während man 2017 nur gut 10’000 Tonnen Plastikmüll nach Thailand verschiffte, waren es 2018 bis heute fast 150’000 Tonnen, und die Exporte nach Malaysia und Vietnam wuchsen ebenfalls um ein Vielfaches³. Doch die dortigen Regierungen folgen dem Beispiel Chinas. Malaysia hat bereits Ende Oktober 2018 die Notbremse gezogen und die Einfuhr vorerst gestoppt; auch Thailand will die Einfuhr stoppen, falls die Mengen eine gewisse Grenze überschreiten. Vietnam will die Einfuhrmengen deckeln, und angeblich überlegt auch Laos, Grenzen zu ziehen.
Japan kann die im Land produzierte Müllmenge nicht ohne fremde Hilfe bewältigen — dafür sind die Kapazitäten bei weitem nicht ausreichend. Schon seit Jahren zeichnet sich zum Beispiel ab, dass Tokyo in absehbarer Zukunft nicht mehr weiß, wohin mit dem Müll. Die ökologisch völlig zurecht beschlossenen Maßnahmen Chinas und anderer Länder werden nun — hoffentlich — die japanische Wirtschaft und Politik zum Handeln zwingen. Im Gespräch sind da zum Beispiel Pfandsysteme – so etwas gab es in Japan in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt nicht. Und die Zeit drängt allmählich.

¹ Das Foto entstand 2016, nach den Neujahrsfeiertagen, und bedeutet nicht, dass es aufgrund der jetzigen Probleme überall so aussieht. Es zeigt aber sehr wohl, wie viel Müll sich in der Hauptstadt innerhalb weniger Tage ansammeln kann.
² Siehe unter anderem hier
³ Zahlen laut JETRO (siehe hier)

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Das sind Mengen die man sich nur schwer vorstellen kann…
    Meine Frau hatte mal auf einer Wirtschaftsmesse für einen japanischen Hersteller von Müllverbrennungsanlagen gedolmetscht. Da habe ich den Eindruck gewonnen, dass Japan diesbezüglich ziemlich weit sei. Aber wie von dir beschrieben, liegt es wohl schlichtweg an der Kapazität.
    Wenn es bisher so leicht und billig war den Müll ins Ausland zu verfrachten, sieht man natürlich keine Notwendigkeit entsprechend Kapazitäten zu schaffen.
    Trotz fortschrittlicher Filter und Verbrennungstechniken wird Familie Yamada wohl eh nicht begeistert sein, wenn entsprechende Anlagen in der Nachbarschaft geplant werden.

    • Das dachte ich mir auch beim Lesen des interessanten Blog-Artikels!
      Japan als Vorbild des Recyclings auf dem Papier – das versprechen alle Statistiken.
      In Japan selbst sehe ich jedoch immer nur: doppelte und dreifache Verpackungen und ein verdächtig gering ausgeprägtes Umweltbewusstsein: Sauberkeit und gute Müllentsorgung täuschen darüber hinweg, dass man sich in Japan über Kohleenergie keine Gedanken macht, dass Häuser miserabel isoliert sind und Klimaanlagen oft völlig unökologisch laufen.
      Daher sind die Werte also so toll gewesen: ein Teil des Mülls wurde einfach exportiert!
      Was mich aufatmen lässt: in Japan lässt sich ja viel über Regeln verändern. Sobald das Bewusstsein oben ankommt, kann es dann zu schnellen Lösungen kommen. Leider sieht es so aus, als ob auch hier Lösungen in erster Linie wirtschaftlich sein müssen.

  2. Hallöchen,
    ich finde es einen guten Schritt, dass sich China und die anderen Länder gegen die Mülleinfuhr entscheiden/entschieden haben. Ich hoffe, das zwingt die Wirtschaft und die Politik auf der ganzen Welt zum Umdenken.
    Viele Grüße
    Abigail

    • Plastikmüll ist kein Problem. Man kann einfach ein Loch graben so tief wie man will, wenns sein muss ins erdinnere wo es verbrennt. Oder man kann den Plastikmüll wieder in Erdöl verwandeln, Oder man kann damit Künstliche Inseln bauen. Oder man kann es einfach verbrennen. Ich sehe überhaupt keine Probleme für die Umwelt. Die Umwelt is besser dran mit Plastikmüll als OHNE. A
      Das einzige Problem sind leute wie du die anderen Leuten etwas vorschreiben wollen. Oder die Etnwicklung von Bakterien die Plastik fressen. Das wäre ein echtes Problem für die Menschheit.

      • Ich hatte ja gerade im Bereich Umwelt darauf gehofft, dass die kommende Generation hier sensibler heranwächst und eigene Ideen mitbringt (obwohl es eigentlich unsere Aufgabe wäre).
        Aber dieser Beitrag zeigt, dass es noch Heranwachsende gibt, deren Unwissenheit “ins erdinnere” reicht, allerdings glauben, dass sie bereits Wissen über sensible chemische, politische und biologische Prozesse zu haben, was aus Internet-Unwahrheiten stammt oder selbst zusammengereimt wurde. Eine bestürzende Erfahrung.

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