Die Präfektur Tottori im Westen von Japan zählt nicht zu den bekanntesten Reisedestinationen. Ganz eigentlich ist diese Gegend nur für seine “Tottori-Wüste” bekannten Dünen bekannt (siehe hier). Der gewitzte und von mir hochgeschätzte Governeur der Präfektur, Shinji Hirai, macht aus der Not eine Tugend und sieht das ganze mit Humor. So meinte er einmal, dass es in Tottori zwar kein スタバ sutaba (kurz für Starbucks) gibt, dafür aber ein 砂場 sunaba – ein “Sandplatz”, als Anspielung auf die bekannten Dünen. Anmerkung: Natürlich gibt es jetzt auch Cafes in Tottori, die “Sunaba” heissen.
In dieser Präfektur also, in dem kleinen Dorf 浜村, wohnt ein Autohändler, der seit Jahrzehnten Autos verkauft – in einem kleinen Geschäft. Im Jahr 2012 beschloss er, selbst einmal Ramen, die obligatorische japanische Nudelsuppe, zu machen, und die setzte er gelegentlich seinen Kunden vor. Das ging allerdings irgendwie nach hinten los, denn es tauchten die ersten Leute auf, die nicht wegen der Autos kamen, sondern wegen der Ramen. Darauf wurden irgendwann auch die Michelin-Inspekteure aufmerksam, und so wurde er 2019 im Michelin Bib Gourmand-Guide für Kyōto, Tottori usw. mit einem Stern geadelt. Der Bib Gourmand steht für “sorgfältig zubereitete und zugleich preiswerte Mahlzeiten vergeben”. Das ist äußerst bemerkenswert, denn der Autohändler, Katsumi Yoshida, hat nie kochen gelernt. Das preisgekrönte Rezept hat er ganz allein und aus Spaß an der Freude ausgetüftelt.
Weder der Name “Hot Air” noch das Äußere des Ladens lassen vermuten, dass hier eine kulinarische Besonderheit wartet. Kennt man die Geschichte nicht, fährt man einfach dran vorbei. Das ist sicherlich bewusst so gemacht, denn der Besitzer und Koch kann so seine Geschichte am Leben erhalten. Auch das Innere des Restaurants ist eher untypisch – es gibt ein paar Plätze an den Fenstern, und drei kleine Tische, und man kann sich sehr gut vorstellen, wie hier Verkaufssgespräche für gebrauchte Autos geführt wurden.
Die Speisekarte ist üblich, enthält aber auch gut illustrierte Erklärungen zum Gericht. Man kann also das machen, was beim Whisky- und Weinverkosten auch üblich ist: Ein paar Beschreibungen zum Kredenzten lesen und dann selbst entscheiden, inwieweit man da mitgehen kann oder auch nicht.
Das Ramengericht, mit dem Yoshida bekannt wurde, nennt sich 極み塩ラーメン kiwami shio ramen (in etwa “Ultra-Salzramen”), aber damit hörte er nicht auf – es gibt nun auch Ramen auf Soyasaucen-Basis sowie Tantanmen (auf Sesambasis). Bereitwillig erklärt der Koch-durch-Zufall das Geheimnis, aber das ist, wie bei Ramen so üblich, so komplex, dass man selbst mit der Zutatenliste nicht auf das gleiche Ergebnis kommt. Fakt ist, dass keine Zusatzstoffe verwendet werden. Dafür aber eine ganz spezielle Soyasauce (die man auch kaufen kann), 鶏油 chiiyu (Hühnerfett), getrocknete Sardinen, Kombu, getrocknete Pilze und drei verschiedene Sorten Salz. Des weiteren wird besonders reines Quellwasser benutzt. Einzig die Nudeln stellt er nicht selbst her – die werden von einer traditionellen Nudelmanufaktur in Kyoto bezogen. Das chaashu (Fleisch) wiederum wird selbst hergestellt.
Das Ergebnis ist eine sehr ansehnliche Schüssel Ramen mit angenehmen, aber deutlich von Hühnerfleisch dominiertem Duft. Beim Essen wird es dann interessant. Langt man die ersten zwei, drei Mal mit den Stäbchen hin, empfindet man den Geschmack eher als – für Ramen zumindest – dünn. Doch das ändert sich, je mehr man davon isst: Langsam dringen verschiedene Geschmacksrichtungen in den Vordergrund, ohne dabei penetrant zu werden. Und ehe man es sich versieht, ist die Schale alle, und man beginnt, die verbliebene Suppe zu trinken – ein untrügliches Zeichen, dass es geschmeckt hat.
Yoshida war so freundlich, dass ganze zu bestätigen. Sein Ziel war es, Ramen zu kreieren, die “eine Geschichte erzählen” – die also im Laufe des Mals den Geschmack ändern. Und das ist ihm meiner Meinung nach gelungen, aber ich bin mir auch sicher, dass es bestimmt Leute gibt, denen das Mal nicht deftig genug ist, denn Ramen sind nun mal oft sehr deftig. In dem Sinne kann ich nur empfehlen, nicht mit Kohldampf aufzukreuzen, sondern mit Appetit. Dann kann man Yoshida’s Ramen so richtig geniessen.
Trotz der Erwähnung im Michelin und den daraus resultierenden zahlreichen Fernseh- und anderen Interviews ist Yoshida auf dem Boden geblieben: Für eine Schale Ramen ohne Ei verlangt er branchenübliche 800 Yen, mit Ei (und das sollte man sich nicht entgehen lassen) 900 Yen, also gute 6 bis 7 Euro.
Fazit: Hobbyköche können sich hier aufgemuntert sehen. Selbst ohne Kochkurse und dergleichen kann man Hervorragendes zaubern, wenn man nur lang genug tüftelt und den sprichwörtlichen guten Riecher hat. Und in Tottori gibt es nicht nur furchtbar viel Sand, sondern auch interesssante Leute und gutes Essen.
Wow, klingt echt lecker. Jetzt hab ich Hunger :)