Nur wenige hundert Meter hinter meinem Haus erstreckt sich ein 2.5 Hektar großes Gelände, dessen Bebauung man getrost als “Lost Place” bezeichnen kann: Das Gelände gehört Meiji Seika, einem großen Süßwarenhersteller, und besteht aus einem Tagungszentrum nebst Unterkünften, einem Pool, Sportplätzen und dergleichen. Sicherlich wurden hier lange Zeit Firmenmitarbeiter untergebracht – zur Schulung, oder auch einfach nur zum Entspannen. Doch die Anlage hat schon bessere Tage gesehen. Wohl auch deshalb scheint sich die Firma entschlossen zu haben, das Objekt zu verkaufen. Nun sollen dort innerhalb von anderthalb Jahren 132 zweietagige Einfamilienhäuser entstehen. Etwas gewagt – die Anlage befindet sich in einem kleinen Tal und ziemlich weit weg von Bushaltestellen, Supermärkten oder gar Bahnhöfen, aber immerhin ist es dort schön ruhig.
In Japan herrscht seit ein paar wenigen Jahren das SDG-Fieber: Überall werden die 17 Hauptziele einer Nachhaltigen Entwicklung heraufbeschworen, und alle großen Unternehmen beteuern, nichts anderes im Kopf zu haben. Dazu zählen:
11) Nachhaltige Städte und Gemeinden
12) Nachhaltige(r) Konsum und Produktion
13) Maßnahmen zum Klimaschutz
Das ist schön. Die Menschheit, mehr aber noch der Planet, brauchen diese hehren Ziele. Doch die japanische Baupolitik steht im krassen Widerspruch dazu: Im Jahr 2024 zählte man in ganz Japan erstmals über 9 Millionen 空き家 – leerstehende (Wohn)häuser1. Dem gegenüber steht der Bau von über 10’000 Einfamilienhäusern allein im Monat September 20242 – im ganzen Jahr 2024 waren es rund 220’000 neue Einfamilienhäuser.
Sicher – viele der leerstehenden Häuser befinden sich auf dem Land, und dort stirbt die Bevölkerung langsam aus. Doch die akiya gibt es mittlerweile auch in Tokyo und Umgebung reichlich – und dennoch werden noch immer im weiteren Stadtgebiet Wälder gerodet und ganze Berge abgetragen, um neue Siedlungen mit Einfamilienhäusern zu bauen.
Von einem Umdenken ist man da weit entfernt, und das ist mehreren Gründen geschuldet. Dazu zählen
• bürokratische und erbrechtliche Schwierigkeiten bei er Abwicklung der akiya
• die hohen Abrisskosten von alten Häusern
• die generelle Abneigung potentieller Hauseigentümer gegenüber gebrauchten Häusern
• der starke Lobbyismus der Bau- und Immobilienbranche
Leider muss man anmerken, dass sich hier nicht allzu viel getan hat: In meiner Diplomarbeit Anfang der 2000er ging es um die Frage, wie nachhaltig die städtebauliche Entwicklung im urbanen Raum von Tokyo ist. Nun, sie war damals nicht besonders nachhaltig – und sie ist es heute auch noch nicht beziehungsweise nur sehr, sehr bedingt. Da gibt es noch sehr viel zu tun. Aber es gibt auch einen Trost: Wohnraummangel ist kein großes Thema in Japan.