Am Anfang jeden Jahres herrscht in vielen japanischen Familien mit 17 bis 18-jährigen Kindern Ausnahmezustand: Knapp 60% der Sprößlinge entscheiden sich nämlich dafür, nach erfolgter Hochschulreife an einer der knapp 800 japanischen Universitäten zu studieren. Doch halt – nach Möglichkeit sollte es nicht irgendeine Uni sein, sondern eine möglichst gute. Denn bei den japanischen Universitäten gibt es sehr große Unterschiede, und allein der Name entscheidet bereits das in Zukunft anvisierte Gehalt (und damit verbunden auch in gewissen Maße und so überhaupt geplant den Lebenspartner) mit. Ein bedeutender Unterschied zum deutschen System ist dabei, dass es in Japan schwer ist, an eine Uni zu gelangen – dafür aber einfach (beziehungsweise fast selbstredend), diese erfolgreich zu beenden.
Was für Universitäten gibt es eigentlich?
In Japan gibt es, so zumindest der Stand 2022, 86 staatliche, 99 öffentliche (sprich, sie werden von der Präfektur oder der Stadt getragen) und 607 private Universitäten – der Unterschied liegt also in der Trägerschaft und damit auch in der Höhe der Studiengebühren. An staatlichen und öffentlichen Universitäten sind die Gebühren bei allen Fachgebieten fast gleich hoch und sie werden zum Teil subventioniert. Für ein 4-jähriges Studium werden da im Schnitt 2,5 Millionen Yen (gut 15’000 Euro) Unterrichtsgebühen fällig. Bei den privaten Unis hingegen muss man zwischen 文系 (Geisteswissenschaften) und 理系 (“anderen” Wissenschaften wie Physik, Biologie usw.) unterscheiden – bei ersteren werden im Schnitt rund 4 Millionen, bei letzteren über 5 Millionen fällig, aber es gibt hier große Schwankungen.
Bei 800 Universitäten gibt es natürlich auch große Schwankungen bei der Größe – von wahren Kolossen wie der 日本大学 (“Japan-Universität”, privat) mit mehr als 70’000 Studenten bis zur Mini-Uni Minobusan mit nur gut 100 Studenten. Nicht wenige Universitäten haben eine Trägerschaft mit religiösem Hintergrund – besonders das Christentum ist hier zahlreich vertreten. Dazu zählen unter anderem die Sophia-Universität, die Ferris-Universität für Frauen und die ICU (International Christian University). Auch buddhistisch geprägte Unis gibt es häufig – so zum Beispiel die Sōka-Universität, die von der gleichnamigen und in Japan sehr einflussreichen buddhistischen Sekte unterhalten wird. Das bedeutet in Japan jedoch nicht zwangsläufig, dass die Studenten dieser Religion angehören müssen oder dort unbedingt bekehrt werden sollen.
Viele Universitäten sind auch in besonderen Bereichen spezialisiert – auf Medizin zum Beispiel, oder auf Ingenieurwissenschaften. Das ist manchmal, aber nicht immer, bereits am Namen erkennbar
1. Schulempfehlungssystem
Seit 2021 ist dies die häufigste Form, um an eine Universität zu gelangen (mit über 40%): Oberschulen, die ebenfalls einem Ranking unterliegen, sprechen hier Empfehlungen für eine Universität aus, und diese Empfehlung muss in den drei Jahren erarbeitet werden: Gute Noten, kein unerlaubtes Fehlen, Hausaufgaben und Prüfungsergebnisse fliessen hier in die Bewertung ein. Je besser (sprich, je schwieriger die Eintrittsprüfung) der Oberschule, desto besser sind auch die Universitäten, die die Empfehlungen der Oberschule akzeptieren. Viele, aber dies gilt nur bei privater Trägerschaft, Universitäten haben auch angeschlossene Oberschulen, so dass hier die Schüler noch leichter in die Universität “reinrutschen” können. Der Vorteil für die Studenten besteht darin, dass sie mehr Planungssicherheit haben – und sich nicht durch unzählige Prüfungen quälen müssen. Immer mehr Universitäten, darunter zum Beispiel die große 上智大学 (Sophia-Universität), entscheiden sich dafür, auf diese Weise ihre Studenten zu rekrutieren, da auch die Unis somit mehr Planungssicherheit haben – eine Folge der immer geringer werdenden Zahl von jungen Menschen im Uni-Alter. Der Nachteil für die Unis: Das Niveau der Studenten rutscht damit ab.
2. Allgemeines Auswahlverfahren
Im Prinzip bedeutet dies Prüfungen, und bei vielen Universitäten spielt hier der sogenannte 大学入学共通テスト (gern “kyōte” abgekürzt) – auf Deutsch “Einheitliche Universitätsaufnahmeprüfung” – die Hauptrolle. Diese Prüfung war einst als センター試験 (Zentrale Prüfung) bekannt und findet in der Regel am Wochenende nach dem 15. Januar statt. An vorgegebenen Orten versammeln sich dann die angehenden Studenten und werden dann am Sonnabend und Sonntag für jeweils gut 8 Stunden und in 7 Fächern geprüft – und zwar mittels Multiple Choice. Und hier wird es interessant: Die Prüflinge dürfen nach erfolgter Prüfung die Aufgaben mitnehmen. Die ausgefüllten Antwortblätter müssen dableiben – sie werden dann zentral ausgewertet, und die Ergebnisse werden dann an die angeschlossenen Universitäten weitergegeben. Die entscheiden dann, welche Mindestpunktzahl erreicht werden muss, damit sich die Bewerber bei der jeweiligen Uni bewerben könnnen. War der Gesamtdurchschnitt der Ergebnisse eher niedrig, ist die Grenze niedriger angesetzt – war sie hoch, dann eben höher. Die Prüflinge erfahren die offiziellen Ergebnisse erst im April – und damit erst dann, wenn “alle Messen gesungen sind”. Sie können also nur die Aufgaben mit nach Hause nehmen und dort mittels ihres Gedächtnisses (nicht leicht bei 16 Stunden Prüfung) nachvollziehen, wie viele Punkte sie möglicherweise erreicht haben.
Ein Beispiel: Ein Prüfling möchte unbedingt und als erste Wahl an die Universität XYZ gehen (Oberschüler können sich in einem Jahr an mehreren Universitäten bewerben). Die Einheitliche Prüfung hat eine Gesamtpunktezahl von 1000 Punkten. Anhand der Gesamtstatistik der diesjährigen Ergebnisse entscheidet die Uni XYZ, dass sie zum Beispiel nur die mit mehr als 730 Punkten zur eigenen Aufnahmeprügung zulassen wird, da dies im diesjährigen Fall den obersten 2% entspricht. Hat der Prüfling weniger Punkte, ist damit die Traumuni – zumindest in diesem Jahr – gestorben. Das nennt man, inoffiziell, 脚切り, das “Füße wegschneiden” oder auch 門前払い, das “Abweisen vor dem Tore”. Hier wird es etwas kompliziert, denn es kann passieren, dass eine der Topuniversitäten eine besonders hohe Grenze ansetzt – in dem Fall werden dann viele Bewerber zur nächstbesseren Uni, sagen wir mal Uni ABC, gedrängt. Die Schüler, die sich ein Jahr für Uni ABC vorbereitet haben, da Uni XYZ unrealistisch war, haben dann plötzlich das Nachsehen.
Je nach Punktestand können die angehenden Studenten nach der Prüfung also zur nächsten Stufe vorrücken – zur eigentlichen Aufnahmeprüfung der jeweiligen Uni, ob diese nun die erste Wahl war oder nur die zweite oder dritte, hängt vom Prüfungsglück ab. Einige Schüler entscheiden sich aber auch dafür, ein Jahr als 浪人 zu verbringen, um es im folgenden Jahr noch einmal zu versuchen.
Natürlich wissen die Bewerber um ihre Chancen, denn sie bereiten sich in der Regel das gesamte vorangegangene Jahr auf die Uniprüfungen vor, indem sie immer wieder 模擬試験 (kurz mōshi, “Testprüfungen”) durchlaufen, die dann genau analysiert werden: Die Ergebnisse sind ein Buchstabe – A bis F, wobei “A” für “Bestehen sehr wahrscheinlich”, “C” für 50/50 Chance und “F” für “Bestehen unwahrscheinlich” sowie eine Statistik, wie viele Schüler für welche Uni ein A, wie viele ein B und dergleichen hatten.
Die eigentliche Prüfungen finden danach im Februar und manchmal auch noch einmal im März statt – diese Termine sind nicht einheitlich, damit die Schüler an mehreren Unis ihr Glück versuchen können. Die Einheitsaufnahmeprüfung ist jedoch vorerst DER Termin und für die meisten Familien stressig, dann natürlich müssen hier alle besonders aufpassen, dass niemand kurz vor der Prüfung krank wird. Hinzu kommt, dass heftige Schneefälle just an den Prüfungstagen keine Seltenheit sind.
3. Gesamtheitliches Aufnahmeverfahren
Dieses dem amerikanischen System nachempfundene und bis circa 2020 unter dem Namen AO入試 bekannte System erinnert eher an ein Stellenbewerbungsverfahren in großen Firmen: Die angehenden Studenten müssen hier durch ein mehr oder weniger kompliziertes Verfahren von Aufnahmegesprächen, Bewertungen der Oberschule, Aufsätze und dergleichen – die jeweilige Universität hat dabei ihre ganz eigene Vorstellung davon, welche Bewerber man haben möchte und welche nicht. Durch das Aufnahmeverfahren will man sicher gehen, nur Bewerber zu akzeptieren, die diesem Bild am ehesten entsprechen. Diese Methode ist in Japan stark im Kommen – im Jahr 2020 wurden so nur rund 1,5% der Studenten rekrutiert, doch jetzt sind es schon fast 10%.
Dies ist nur ein erster, kurzer Überblick – mehr sicherlich als lose Folge später.