Gegen 8 Uhr 10 setzte mich der Autoverleiher am Fährhafen von Hachijōjima ab – dabei fuhr die Fähre erst um 9:20, und die nähere Umgebung kannte ich bereits. Kein Wunder, schließlich war ich aufgrund widriger Wetterverhältnisse nun schon ganze vier und nicht wie ursprünglich geplant zwei Tage auf dem kleinen Eiland. Ich schaute aus dem Fenster des kleinen Fährgebäudes und starrte in eine enorm große Meute verschiedenster Katzen. Es mussten so um die 30 sein. Kleine, große, zerzauste, in allen Farbvariationen. Eine alte Frau schlurfte zu der Rotte und begann, Futter auszulegen. Dann erblickte sie mich und grummelte „die fressen meine ganze Rente auf“. Ich nickte und erwiderte „die werden sicherlich auch nicht weniger“.
Die alte Frau kam auf mich zu, fragte nach dem woher und wohin, und wie alle Insulaner kannte sie natürlich die Abfahrtszeit der einzigen Fähre. 「あなた、暇でしょう」- „Sie haben doch sicher Zeit“ sagte sie dann und gab mir zu verstehen, dass ich ihr folgen sollte. Wir liefen zu einem kleinen, nagelneuen Denkmal, gestiftet von der fernen Präfektur Wakayama, weil mal vor langer, langer Zeit eine Fischfangflotte aus jener Präfektur in Seenot geriet, und viele der Schiffbrüchigen von den Insulanern gerettet wurden. Warum dauerte es nur so viele Jahre, bis man das Denkmal hinsetzte? Nun, offensichtlich erinnerte sich jemand in Wakayama daran, dass die türkische Regierung sich mehrmals sehr dankesvoll an Wakayama wendete, da diese vor rund 150 Jahren etliche Besatzungsmitglieder einer an den Klippen zerschellten ottomanischen Fregatte gerettet hatten. Da bekamen wohl einige ein schlechtes Gewissen. Die alte Frau fand das sehr komisch. Sie gefiel mir. Und ich sah meine Chance, ein paar Informationen aus ihr herauszupressen. So interessierte mich der hiesige Dialekt, denn abgelegene Orte entwickeln in der Regel ganz besondere Mundarten. So sollen auf der Insel etliche Worte aus dem altjapanischen überlebt haben, die so nur noch in alten Schriften auftauchen. Sie sagte „Oh, dafür interessieren sich! Soll ich ihnen die gleiche Geschichte noch mal im hiesigen Dialekt erzählen?“ Ich fühlte mich versucht, mein Handy zu zücken, um das folgende aufzunehmen. Gut, dass ich es nicht gemacht habe. Sie begann zu erzählen, aber was ich zu hören bekam, war ziemlich reines Hochjapanisch. Sie brach ab und blickte nun etwas traurig drein: „Ich glaube, so richtig kann ich das gar nicht mehr. Das ist schade.“ Ich versuchte sie ein bisschen aufzumuntern: Ich habe gelesen, dass die jüngeren Bewohner den Dialekt so gut wie gar nicht kennen, und ältere Bewohner den Dialekt zwar verstehen, aber nicht mehr aktiv benutzen“. Sie nickte, nannte dann aber noch etliche Wörter und auch noch ein paar Variationen – auf der Insel gibt es fünf Gemeinden, und dort gab es jeweils unterschiedliche Mundarten.
Die Zeit bis zur Abfahrt wurde so sehr, sehr kurz. Und das Gespräch war genauso interessant wie ein anderes Gespräch mit einem Sushimeister am Vortag – da ich vor 12 Uhr dort war und das außerhalb der Saison, an einem Wochentag, war ich sein erster Gast, und der freundliche Herr war eine Fundgrube an Wissen über Fische im Allgemeinen und die roh genossene Variante im Speziellen.
Lange Rede, schwacher Sinn – viele dieser Informationen sind in diese neue Seite über Hachijōjima eingeflossen. So viel, dass die Seite viel länger wurde als üblich – für alle, die auch mal etwas über das Japan abseits der üblichen Sehenswürdigkeiten wissen wollen:
https://japan-almanach.de/kanto/tokyo-to/hachijojima/
Im Übrigen geniesse ich in den meisten Fällen die Gespräche mit japanischen Senioren – sie sind oft mehr als bereitwillig und sehr geduldig im Erklären, und es gibt extrem viel von ihnen zu lernen.
Ich setze mich gerne in die alten versifften Izakaya bei uns auf dem Dorf und lasse mich von den Senioren vollsabbeln. Manchmal sind interessante Geschichten dabei, wie es früher hier dort war oder kleine historische Anekdoten und ein Bier extra bekommt man meist noch dazu.
Meine Schwiegergrossmutter sprach wohl noch einen alten Kumamoto Dialekt. Mir kam es vor wie eine gänzlich andere Sprache, ich verstand kein Wort, was sie jedoch nie sonderlich störte. Inzwischen habe ich mich etwas an den Dialekt gewöhnt, aber was die alles mit と machen, übersteigt meinen Horizont.
ja die Gespräche mit den Alten….Das erinnert mich an ein Erlebnis in Hagi. Aus meinen Reisenotizen: ” Auf dem Rückweg an der Schloßruine vorbei lud mich eine Frau in ihren kleinen Laden (Keramik) mit Teebewirtung ein, um mich etwas auszuruhen. Es gab kandierte Mandarinen und süße Küchlein dazu grünen Pulvertee wie bei der Teezeremonie. Als ich gehen und zahlen wollte, wie es auch ein Paar getan hatte, welches nach mir gekommen und schon gegangen war, lehnte sie Bezahlung ab. Es sei ihr ein Vergnügen gewesen, mit mir zu sprechen. Dabei hatte s i e mir soviel erzählt, wie schade es um das Schloß sei, eine Photographie an der Wand zeigte das Schloß vor der Zerstörung, wielange man an dem Bau gearbeitet habe, 4 Jahrhunderte habe es Bestand gehabt und dann der Abriß. Oder von den 5 jungen Männern, die zu Beginn der Meijizeit mit Anfang 20 zum Studium an die Universität nach London geschickt wurden. Alle wurden später einflußreiche Persönlichkeiten, einer sogar Premierminister. Sie fragte, wielange mein Flug gedauert habe, 9 Stunden. Und die Fünf hatten anderthalb Monate gebraucht. Sie erzählte alles so, als habe sie es selbst noch erlebt, doch es ist 150 Jahre her und so alt war sie dann doch nicht. Sie sprach ein sehr gepflegtes, höfliches Japanisch und sich dann bei mir für die Unterhaltung zu bedanken……
Das beantwortet für mich dann auch die Frage, Japan lieben oder hassen
Ich habe mal im Rahmen meines Studiums den Gebrauch des Plattdeutschen bei Kindern auf der Insel Hiddensee untersucht. Ähnliche Story, die Alten sprechen es, die Jungen weniger. Auf Hiddensee gibt es drei Orte, wobei Neuendorf am unteren Ende ungefähr kaum überwindliche 9 km vom Hauptort entfernt ist. Es gab in der Tat einzelne Wörter, die sich im Alltagsgebrauch des Plattdeutschen zwischen den Orten unterschieden haben.