Noch nicht einmal vier Wochen ist es her, dass Suga als Ministerpräsident Japans vereidigt wurde. Viele hielten ihn bis dahin als treuen Vasallen des Vorgängers Abe und für einen Vollblutpolitiker, der mehr Energie hat als man ihm ansieht. Große Veränderungen wurden ihm nicht zugetraut. Große Skandale eigentlich auch nicht, aber das sollte sich schnell ändern.
In Japan gibt es ein beratendes, akademisches Gremium mit dem Namen 学術会議 gakujutsu kaigi, offzieller englischer Name: Science Council of Japan (SCJ). Dem gehören 210 Mitglieder verschiedenster Fachbereiche und Institutionen an, die dem Gremium für jeweils sechs Jahre zugehören. Alle drei Jahre werden so die Hälfte der Mitglieder ausgetauscht. Der SCJ wird von Steuergeldern finanziert und berät die Regierung in so ziemlich allen Fragen, wobei die Hauptaufgabe aber darin besteht, die Forschung in Japan zu koordinieren sowie die Ergebnisse selbiger im Ausland zu präsentieren. Als Pendant kommt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dem am nächsten.
Obwohl der SCJ seit seinem Entstehen im Jahr 1949 von Steuergeldern finanziert wird, ist er politisch neutral – so zumindest der Kerngedanke. Neue Mitglieder werden nach einem komplizierten System rekrutiert – da geht es um das Geschlecht (es gibt eine Frauenquote von 30%), um die Fachrichtung (Geistes- und Naturwissenschaftlicher, aber auch Techniker usw. gehören dazu – eine gewisse Balance muss natürlich gewahrt werden), die Herkunft (damit einzelne Körperschaften nicht überrepräsentiert sind), Empfehlungen und weitere Faktoren. Bisher war es dabei Usus, dass am Ende eine Kandidatenliste entstand, die vom Ministerpräsidenten lediglich abgenickt wurde.
Der neue Ministerpräsident Suga dachte jedoch gar nicht daran, sich an die üblichen Konventionen zu halten. Er lehnte die Ernennung von 6 neuen Kandidaten ab. Doch das ist noch nicht ein Mal das schlimmste: Suga weigert sich nun schon drei Tage lang, sich zu erklären. Warum er sich zu dem ungewöhnlichen Schritt entschieden und genau diese Wissenschaftler abgelehnt hat, ist deshalb völlig unklar und liefert dementsprechend Stoff für Spekulationen. Unabhängige Medien wie Huffpost machten sich derweilen auf die Suche nach Gemeinsamkeiten der sechs abgelehnten Kandidaten, und die fanden sie auch schnell – alle sechs haben entweder regierungskritische Kommentare veröffentlicht oder gehören einer regierungskritischen Bewegung an.
Erst nach ein paar Tagen begannen andere liberaldemokratische Politiker damit, dürftige Begründungen nachzuschieben. So beklagt man nun mangelnde Transparenz bei der SCJ, und man wirft ihr vor, militärische Forschung in Japan mit dem Hinweis auf die pazifistische Verfassung behindert, gleichzeitig aber hervorragende Kontake zu chinesischen Militärforschungseinrichtungen unterhalten zu haben. Gerade der letzte Vorwurf reicht aus, um die Rechten hervorzulocken, die nun lauthals nach Abschaffung des Organs verlangen. Dabei ist letzterer Vorwurf sehr unglaubwürdig: Kein geradeaus denkender Japaner würde bereitwillig zum Schaden Japans und zum Nutzen der VR China agieren. Dass im Verein jedoch Gegner der von Abe einst geplanten Verfassungsreform überwiegen ist gut vorstellbar.
Wie dem auch sei: Da der Ministerpräsident persönlich alle Mitglieder abnicken muss, ist es sein gutes Recht, nein zu sagen – ungeschriebene Gesetze hin oder her. Danach jedoch zu den Gründen zu schweigen ist einfach nur problematisch. Erstens sorgt es für Gerüchte, und zweitens zu der Erkenntnis, dass die Regierung schaltet und waltet wie sie möchte – ohne irgend jemandem Rechenschaft abzulegen. Demokratie sieht anders aus.
Na, Bravo! Hat der Reiwa Opa doch noch etwas zustande gebracht. Gut, einen Skandal, aber immerhin. Das hätte man ihm doch nun wirklich nicht zugetraut.
Wie kommt es eigentlich, dass Personen des öffentlichen Lebens immer zu glauben scheinen, dass der Öffentlichkeit solche Dinge nie im Leben auffallen würden?