Erwartungsgemäß ist heute Ministerpräsident Naoto Kan (菅直人) zurückgetreten. Jener hatte am 8. Juni 2010 das Amt angetreten und hat es damit über ein Jahr an der Spitze ausgehalten. Das ist in Japan schon vergleichsweise lang.
Mal davon abgesehen, dass Kan mich einmal beinahe überfahren hatte, war mir der Mann relativ sympathisch. Aber das soll nichts heissen – er war mir lediglich “vergleichsweise” sympathisch. Kan hatte auf jeden Fall eine besonders schwere Amtszeit. Inmitten einer sich zuspitzenden Schuldenkrise des Landes schlug das schwere Erdbeben am 11. März 2011 zu und erforderte alle vorhandenen Reserven in jeglichem Sinne. Kan gilt, auch wenn man das bei seinen Auftritten im Fernsehen kaum glauben mag, als Choleriker, der gelegentlich zu ordentlichen Wutausbrüchen neigte. Sein Auftritt bei Tepco nach Bekanntwerden der Situation im AKW Fukushima I wird mit Sicherheit in die Geschichtsbücher eingehen: Die TEPCO-Manager versuchten dem Ministerpräsidenten zu erklären, daß am AKW nichts mehr zu retten sei und sie deshalb sämtliches Personal evakuieren wollen. Es folgte wohl ein gehörige Standpauke des Ministerpräsidenten, bei der er die Manager anbrüllte, daß sie gefälligst zusehen wollen, dass sie das Problem in den Begriff bekommen. Was wäre wohl passiert, wenn Kan nachgegeben hätte? Besser wäre es auf keinen Fall geworden. Sehr wahrscheinlich wäre es noch viel schlimmer gekommen.
Kan’s Rückzug geschah auf Raten. Er stand schon lange in der Kritik, befeuert von allen Seiten: Der Opposition, den eigenen Reihen, der Bevölkerung. Unter anderem wurde sein Krisenmanagement gerügt. Eins steht jedoch fest: Bei einer solchen Katastrophe gibt es kein perfektes Krisenmanagement. Vieles hätte man bestimmt besser machen können, aber ich hatte den Eindruck, daß Kan sich sehr viel Mühe gab.
Aufgrund der bodenlosen Kritik nicht nur aus oben genannten Grund kündigte er seinen Rücktritt schon Wochen vorher an – knüpfte den Zeitpunkt jedoch an die Bedingung, dass diverse von ihm initiierte Gesetzesvorlagen erstmal von den beiden Kammern abgesegnet werden. Dies geschah heute – eine Gesetzesvorlage zur Sonderauflage von Staatsanleihen sowie ein Gesetz zur Förderung regenerativer Energieformen wurden verabschiedet. Diese beiden Sachen waren die letzten Dinge auf seiner “to-do list”, und so gab er konsequenterweise seinen Rücktritt bekannt.
Um die Nachfolge wird bereits seit einigen Wochen gerangelt.
Stimme zu – der meinem empfinden nach gute Mann war mir ebenfalls sympathisch und vielleicht der “beste” japanische Ministerpraesident der vergangenen Jahre (und da gab’ es ja einige). Aber die Tokioer Politik scheint ja ein noch schlimmerer Haikaefig zu sein als die Berliner…
Stimme ebenfalls zu. Es ist leicht Menschen für etwas zu kritisieren, wenn man selber nicht in die Verlegenheit kommt, die eigene Kompentenz unter Beweis stellen zu müssen. Auch wenn die Sache noch nicht ausgestanden ist, so scheint sich die Regierung nun langsam aufzurappeln und Massnahmen zu ergreifen. In diesem Sinne scheint Japan ja doch mit “nur” zwei blauen Augen davon gekommen zu sein.
So wie ich es verstanden habe, beginnt man nun laut Asahi Shinbun scheinbar auf experimenteller Basis mit der Dekontamination bestimmter örtlich begrenzter Bereiche. Das klingt in meinen Ohren positiv. Man sehen, ob man drüben in Deutschland diese Nachricht aufgreift.
Ich neige zu der Meinung, dass die meisten bei solch einer Katastrophe überfordert gewesen wären. Kan daher für das Krisenmanagement zu kritisieren halte ich für unfair.
Nun aber mal sehen, wer als nächstes auf den Schleudersitz darf und wie lange jener durchhält. Die Messlatte ist ja nicht sonderlich hoch… Der innerparteiliche Streit lässt aber nichts gutes erahnen.
Wie verdient man sich denn offiziell das Privileg zurückzutreten, bzw. wenn man versagt konsequenzenfrei hinzuschmeissen?
Ist ja weltweit Mode geworden unter den Politikern. Da fände ich es nur fair den Rücktritt endlich auch in der freien Wirtschaft einzuführen ;)
[…] haben ihm Wirtschaftskrise und Erdbeben letztendlich das Genick gebrochen. Mehr zu Kan auch bei Tabibito. Die demokratische Partei bemüht sich nun einen geeigneten Nachfolger ins Rennen zu schicken, […]
Ich kann mir über die Arbeit von Herrn Kan kein Urteil erlauben, dafür wird hier in der BRD zu wenig über Japan berichtet. Was ich aber immer wieder bemerkenswert finde, wie groß der Verschleiß in Japan an Ministerpräsidenten ist! Eine Kontinuität in der Politik kann sich dadurch doch eigentlich nicht einstellen. Ich frage mich, wie hierzulande der Politikstil der Regierenden beurteilt würde, wenn schon “alteingesessenen” Politikern fehlende Vorhersehbarkeit vorgeworfen wird.
Der Reisende möge mich korrigieren.
Laut dem “ehemaligen Nachrichtenmagazin” Spiegel-Online ist Noda gesetzt. Auf Asahi-Shinbun ist davon aber noch nichts zu lesen. Liegt es daran, dass die englischen Artikel dort nicht immer zeitnah eingestellt werden?
Was mich daran verwundert ist, dass weder Maehara noch Kaieda das Rennen gemacht haben. Oder hat es sich Ozawa am Ende doch anders überlegt? Mir schien der Mann sei der ausgemacht Königsmacher.
[…] “Ich habe schon sechs Ministerpräsidenten in diesem Land erlebt – und jetzt kommt der siebente!” Würde ich diesen Satz in Deutschland sagen (gut, da heisst es Bundeskanzler), wäre ich irgendwann Anfang der 1960er unter Ludwig Erhard geboren worden bzw. eingewandert. In Japan geht das alles ein bisschen schneller, wie im Zeitraffer quasi: Hier kommt Ministerpräsident 野田佳彦 Yoshihiko Noda, der siebente Ministerpräsident in 6 Jahren. Aber immerhin wieder einer mit kurzem, einprägsamen Namen. Er wird damit Kan folgen, der ja vergangenen Freitag zurückgetreten ist. […]