Am 22. Oktober ist es soweit: Der neue Kaiser nimmt Platz auf dem Chrysanthementhron und beginnt so ganz offiziell die Reiwa-Ära. Da das nicht häufig vorkommt und ein Grund zum Feiern ist, wurde besagter Tag natürlich zum Staatsfeiertag erklärt. Und nicht nur das: Seit jeher ist es, nicht nur in Japan, Brauch, das ganze mit einer Amnestie abzurunden. Da will man auch dieses mal keine Ausnahme machen – in den folgenden Tagen wird die Regierung einen Erlass unterzeichnen, nach dem schätzungsweise 500’000 bis 600’000 Straftäter begnadigt werden¹. Das klingt nach viel, immerhin sind das fast 0.5% der Gesamtbevölkerung, doch wenn man genauer hinschaut, entpuppt sich das ganze a) als heiße Luft und b) als interessanter Einblick auf das japanische Rechtssystem. Wer nun meint, dass sich die Gefängnistore öffnen werden, irrt, denn die Begnadigung ist an gewisse Bedingungen geknüpft:
1. Es darf sich nicht um schwere Straftaten gehandelt haben
2. Die Begnadigung betrifft nicht Straftäter, die mit Freiheitsentzug bestraft wurden
3. Die Straftat muss mehr als drei Jahre zurückliegen.
4. Es darf keine Vorstrafe vorliegen
Mit anderen Worten – nur die werden begnadigt, die quasi wegen diverser Vergehen zu Geldstrafen verurteilt wurden. Was soll dann also die Begnadigung? Nun, wer wegen eines Deliktes verurteilt wurde, darf für 5 Jahr nicht an staatlich anerkannten Prüfungen, zum Beispiel im Rahmen einer Berufsaus- oder weiterbildung, teilnehmen. Von der Amnestie profitieren in dem Sinne eigentlich nur die, die genau das im Zeitraum von 3 bis 5 Jahren nach der Straftat vorhatten. Immerhin bedeutet das aber auch, dass jegliche Einträge über den Straftäter gelöscht werden sollen – wie eingangs erwähnt sind jedoch Vorstrafen (前科 zenka) davon ausgeschlossen.
Nun klingt eine halbe Million wirklich nach sehr viel – doch das ist nichts im Vergleich zum Vorgänger: Nach dem Ableben des Showa-Tenno 1989 wurden rund 10 Millionen (!) Menschen begnadigt²; ein Jahr darauf, bei der Inthronisierung des Heisei-Tenno, noch einmal 2,5 Millionen Menschen. Und da beliess man es auch nicht bei leichten Strafen – man milderte auch die Strafen von vielen Gefängnisinsassen ab (die Aussetzung von Todesurteilen, wie früher ebenfalls üblich, fand allerdings 1989/90 nicht statt). Diese relativ harmlose Amnestie entspricht sicher dem Zeitgeist. Amnestien machen Sinn in Systemen mit willkürlicher Gewalt gegenüber den Staatsbürgern. In einer Demokratie mit einem geordneten Rechtssystem wirkt eine Amnestie eher wie ein Anachronismus, und gerecht ist das ganze schon gar nicht. Wer vor 3 Jahren und einem Tag verurteilt wurde, wird begnadigt – wer vor knapp 3 Jahren verurteilt wurde nicht. Das klingt nach Ungerechtigkeit.
¹ Siehe hier
² Siehe hier