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Hashtag #Ausländerproblem oder In Springfield essen sie Hunde, in Japan Zikaden

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Ja, die Wahlen stehen vor der Tür – in 4 Tagen ist es soweit, dann wird Japan zum Urnengang aufgerufen. Und die Unzufriedenheit ist groß – steigende Preise, kaum steigende Löhne, und das schleichende, aber immer stärker werdende Gefühl, dass Japan im globalen Vergleich abgehängt wird – verstärkt durch den Eindruck, dass immer mehr Ausländer nach Japan reisen und hier einen auf dicken Max machen. Was tun? Genau. Erstmal Schuldige suchen. Aber die ewig regierenden Liberaldemokraten zu beschuldigen kann Jeder. Deshalb hat vor allem eine Partei eine ganz neue Idee: Wir nehmen einfach Ausländer als Sündenböcke, und das Rezept dafür hat sich bereits in vielen anderen Ländern, so auch in Deutschland, Italien und den USA, um nur einige zu nennen, bewährt. Ganz wichtig ist hier vor allem, erstmal Behauptungen aufzustellen, zum Beispiel dass

  1. Ausländer das Sozialsystem ausnutzen
  2. Ausländer ständig Verkehrsunfälle bauen
  3. Ausländische Studenten bei Stipendien gegenüber japanischen Studenten bevorzugt werden
  4. Ausländer Japanern die Arbeitsplätze wegnehmen
  5. Ausländer immer mehr Verbrechen verüben

und und und. Und so gehört plötzlich der Hashtag #外国人gaikokujin問題mondai (=Ausländerproblem) zu den mit hundert Tausenden Nachrichten auf den üblichen sozialen Netzwerken zu den trendigsten der vergangenen Wochen.

Man muss nicht lange suchen, um herauszufinden, dass diese Behauptungen unfundiert sind. Gemessen am Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung (circa 3%), zahlen Ausländer mehr in das Sozialsystem ein, nutzen weniger Leistungen, und die Verbrechensrate steigt nicht etwa, sie sinkt sogar. Ob man 3% Ausländeranteil an den Stipendiaten als Bevorzugung bezeichnen kann, ist sehr fragwürdig (und extrem kurz gedacht) – ebenso die Behauptung, dass Ausländer Japanern Arbeitsplätze wegnehmen – würden die Ausländer plötzlich alle verschwinden, würde nämlich ganz schnell ein großer Teil der Produktion stocken, die Hälfte der Convenience Stores und viele Restaurants würden dicht machen und das Pflegesystem würde kollabieren.

Immerhin schafft es die Sanseitō, die Partei, die das alles angerührt hat, auf rund 5% in den Umfragen. Das ist zwar nicht viel, aber es sind 5% zu viel. Schuld an der plötzlichen Beliebtheit sind dabei auch die Medien, die – auch das gehört natürlich zum Rezept – lieber über reisserische Forderungen wie “Japanese first” berichten wollen als über die üblichen, langweiligen Wahlversprechen.

Zum Rezept gehört natürlich auch ein Schuss Wahnsinn: Trump behauptete ja vor ein paar Monaten, dass Ausländer in der Kleinstadt Springfield den guten amerikanischen Bürgern die Hunde und Katze wegessen. In Japan machen nun die Nachrichten die Runde, dass Horden von Ausländern im frühen Morgengrauen durch die Parks der Hauptstadt ziehen und Zikadenlarven einsammeln, um diese dann zu verspeisen. Das ist angeblich nicht neu und schon seit ein paar Jahren der Fall (und ja, durchaus denkbar – in Südkorea und weiten Teilen Chinas sind Insekten, vor allem die Larven, durchaus beliebt), aber die Schlagzeile, dass Ausländer die Zikaden der Hauptstadt ausrotten, ist schon ein Ding. Dementsprechend stehen in einigen Parks nun auch mehrere, mehrsprachige Schilder herum, auf denen das Einsammeln von Zikadenlarven verboten wird (seltsamerweise zeigt das Schild jedoch nur die leere Hülle nach der Schlüpfung – die wird sicherlich kaum jemand essen).

Fallen Japaner auf diese plumpe Rhetorik hinein? Nein, möchte man hoffen. Aber kein Volk scheint gegen diese postfaktische Stimmungsmache immun zu sein, wie die fast aus dem Nichts kommenden 5% Zustimmung zeigen. Das ist besorgniserregend. Natürlich will niemand explodierende Kriminalitätsraten. Oder unkontrollierten Zuzug. Aber Stimmung pauschal gegen ALLE zu machen ist nicht in Ordnung, egal gegen welche Gruppe da Stimmung gemacht wird.

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tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

1 Kommentar

  1. Die Zahl der von Auslaendern begangenen Delikte ist abzueglich Visavergehen, die nur von Auslaendern begangen werden koennen, in den vergangenen Jahren relativ stabil. Wenn man sie mit der steigenden Zahl an Auslaendern, die nach Japan kommen oder die hier leben, vergleicht, sinkt sie sogar!
    Allerdings fallen relativ (!) spektakulaere Faelle sofort ins Auge und damit auch auf uns alle zurueck, die wir hier gesetzestreu und relativ unauffaellig leben. Japan hat weder das Aequivalent einer Balkanroute noch mit Schlepperbanden zu kaempfen, was wohl auch an fehlenden Pull-Faktoren liegen mag – hier wartet kein Sozialstaat, und Messerverbotszonen braucht man nicht! Wer mit einem Messer in der Tasche erwischt wird, wandert allein deswegen bis zu zwei Jahre in den Bau, der uebrigens keine Erholungsanstalt ist…
    Dass die Sanseito allein deswegen auf mehr als 5% kommt (am Sonntag habe ich was von 8% im TV gesehen…), liegt nicht nur an griffigen Phrasen, sondern vor allem daran, dass es in Japan keine echte Opposition gibt, die den Namen verdient… Einer der Nachteile, die man mit einer auf Konsens und Harmonie bedachten Gesellschaft bekommt… Japaner, die keine Auslaender moegen, gibt es genauso wie es in Deutschland Deutsche gibt, die keine Auslaender moegen. Das wird sich auch nicht aendern, und dagegen helfen auch keine Gesetze!! Man kann Zuneigung und Ablehnung weder befehlen noch gesetzlich verordnen oder sonstwie sanktionieren – man erreicht bestenfalls das Gegenteil!

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