Wenn ich so die Nachrichten aus Deutschland verfolge, habe ich den Eindruck, als ob dort die Lokführer und Piloten abwechselnd streiken. Kaum hören die einen auf, beginnen die anderen. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich das Gefühl habe, dass die Zeit sehr schnell vergeht, aber die Lokführer zum Beispiel streiken doch dieses Jahr schon das zweite Mal… oder!?
Streiks, so wundervoll sie auch als Waffe der Arbeitnehmer im Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen sind, sind etwas, was ich in Japan nicht unbedingt vermisse. Ich habe hier noch keinen erlebt, und ehrlich gesagt möchte ich mir auch nicht vorstellen, was passieren würde, wenn hier die Lokführer streiken würden. Wahrscheinlich würde innerhalb von 24 Stunden in Tokyo Anarchie ausbrechen. Nach drei Tagen würde dann wahrscheinlich die Vegetation beginnen, sich das verlorene Terrain rückzuerobern.
Den Mangel an Streiks verdankt Japan dabei nicht unbedingt dem Mangel an Gewerkschaften, denn die gibt es durchaus. Im Druckereigewerbe zum Beispiel, oder bei den Lehrern. Laut OECD-Bericht von 2013 ist der Prozentsatz der in Gewerkschaften organisierten Arbeitnehmer in Deutschland und Japan nahezu gleich – nämlich knapp 18%¹. In der Schweiz sieht es ähnlich aus, nur in Österreich ist der Anteil mit gut 25% noch relativ hoch. Der Trend ist jedoch in allen Ländern der Gleiche: Immer weniger Arbeitnehmer sind gewerkschaftlich organisiert.
Warum gibt es nun trotzdem wesentlich weniger Streiks? Ein wesentlicher Streikfaktor fällt in Japan raus: Der Kampf um höhere Löhne. In Japan kämpft man nun schon fast seit Jahrzehnten nicht mit Inflation, sondern mit Deflation. Die Preise sind also, von Energieträgern abgesehen, seit geraumer Zeit kaum gestiegen – und die Gehälter entsprechend auch nicht. Ein wichtigerer Grund ist in Japan jedoch die Bindung an die eigene Firma: Die eigene Firma zu bestreiken ist in Japan aufgrund der traditionell eingeforderten / bedingungslos entgegengebrachten Loyalität nur schwer vorstellbar.
Viele Gewerkschaften beschränken deshalb ihr Wirken in erster Linie auf den Schutz der Arbeitnehmer vor Kündigungen oder Willkür. Das kann für die Firma, so sie sehr klein ist, durchaus schmerzvoll werden. So erlebt es auch momentan ein australischer Geschäftspartner. Er ist seit kurzem Chef der Japan-Niederlassung eines weltweit agierenden Unternehmens. Die japanische Niederlassung fusionierte vor etlichen Jahren mit einer japanischen Firma, doch man liess sich vor rund zwei Jahren “scheiden”. Das brachte auch böses Blut hervor, und plötzlich schalteten ehemalige Mitarbeiter eine Gewerkschaft ein und zerrten die Firma (sprich: den Chef) vor Gericht. Dieser war zwar zu jener Zeit noch nicht mal in der Firma angestellt, aber als eingetragener Firmenchef ist er nun mal legitimer Rechtsnachfolger. Neulich bekam er dabei Besuch von einem örtlichen Vertreter der Kommunistischen Partei Japans. In einem Vier-Augen-Gespräch sagte dieser dann klipp und klar: “Entweder Ihr handelt im Sinne der Gewerkschaft, oder wir schicken ein paar Leute mit Transparenten vor eure Bürotüren”. Ein Einzelfall? Ich hoffe es. Fakt ist: Streiks werden kaum eingesetzt in Japan, aber Gewerkschaften verstehen durchaus, auf ihre Weise Druck auszuüben.
¹ Siehe OECD-Statistik
Es ist ja nicht nur so, dass Lokfahrer und Piloten sich beim Streiken abwechseln, sondern die beiden großen Eisenbahnergewerkschaften auch noch. Um Arbeitskampf geht es da fast gar nicht mehr, sondern nur noch um Mitgliederwerbung bzw. dem Schwund selbiger entgegenzuwirken.
Eine Novelierung des Streikrechts ist dringend nötig. Wie kann es sein, dass Milliardenschäden verursacht und ganze Bevölkerungsteile quasi in Geiselhaft genommen werden ohne das jemand dafür geradestehen muss, sondern sogar noch vom Gesetz dafür geschützt wird?
Keine Sorge, was die Gesetzesnovelle im Sommer an Lebenszeichen übrig lässt, wird TTIP entgültig erledigen. Wenn man schon einmal dabei ist, diese querulanten Betriebsräte im ganzen Land könnte man auch abschaffen.
Wenn es querulante Betriebsräte gibt, hat der Chef was falsch gemacht. Entweder man lässt gar nicht erst zu, dass es welche gibt (Discountermodell), oder man geht einvernehmlich mit ihnen um (Autobauer).
Es müsste ja niemand “die Bevölkerung” (warum fährt die übrhaupt Zug? Ach ja, 50km ist problemlos zumutbar) in “Geiselhaft” (die leute werden mit Gewalt gehindert zu gehen??) nehmen, wenn endlich was passieren würde.
Deutschland hinkt mit den Löhnen mindestens 20% zurück.
Was aber nicht heißt, dass ich in Ordnung finde, was die GDL macht, denn da gehts wirklich nur noch um Mitglieder.
Übrigens: Dass sich die Eisenbahnergewerkschaften jetzt mit dem Streik abwechseln (und um Mitglider statt Löhen kämpfen) liegt an… den Arbeitgebern! Auf deren Druck hin ist nämlich vor einigen jahren das Gewerkschaftsrecht geändert worden. Eigentlich sollten damit die Gewerkschaften geschwächt werden, wenn nicht mehr eine Gewerkschaft alle Arbeitnehmer vertritt, sondern eben geteilt – so wie jetzt bei den Lockführern.
Von daher ist mein Mitleid mit den Arbeitgebern sehr sehr begrenzt.
Zum letzten Absatz noch was, das man sich durchlesen sollte:
https://krautreporter.de/634–durchhalten-bahn-burger-gdl-dieser-streik-ist-der-wichtigste-der-berliner-republik
Gewerkschaften gibt es sicherlich, aber wie man so schön sagt, die Vertreter der Gewerkschaften und die Arbeitgebern wissen die behandelnde Fragen oft im Vorhinein und die Gewerkschaften erhalten Ihre Antworten oder es werden weitere Runden zusammengerufen und die kommen sicher zur Einigung. In Deutschland ist der Fall anders.
Schließe mich Gojiras Beitrag an.
Ich bin auch froh, dass man in Japan seine Ruhe von dieser Art Terror-Streiks hat.
Mir graut es nur immer wieder, wenn ich mal einen Deutschlandurlaub plane und nicht weiß, ob der Frankfurter Flughafen wieder durch einen Streik lahm gelegt wird…