BlogDeutsches Dorf Tokyo

Deutsches Dorf Tokyo

-

Ich hatte schon viel davon gehört, aber bisher nie dorthin geschafft: Das 東京ドイツ村 Deutsches Dorf Tokyo, in Sodegaura in der Nachbarpräfektur Chiba. Grundtenor war immer “erwarte aber nichts Deutsches dort”. Also fuhr ich mit sehr wenig Erwartung dorthin, und meine (Nicht)erwartungen wurden nicht enttäuscht. Obwohl: Gleich bei der Einfahrt war ich vom überraschend deutschen (genauer gesagt berlinerischen) Auftreten der Angestellten ganz hin und weg. In das deutsche Dorf fährt man mit dem Auto ein und bezahlt pro Gefährt und Insasse. Als ich über die Insassen befragt wurde, sagte ich
“Ein Erwachsener und eine Mittelschülerin”.
“Zwei Erwachsene also. Und wer ist noch im Auto?”
“Ähm, also nur wir zwei – ein Erwachsener und eine Mittelschülerin”
“Ok, verstanden. Zwei Erwachsene. Noch jemand?”
Nach nochmaliger Bestätigung stellte sich heraus, dass 12-jährige Mittelschüler als Erwachsene gelten. Sehr familienfreundlich. Das permanenten Nachfragen nach weiteren Insassen hindes blieb mir ein Rätsel.
Das deutsche Dorf ist ziemlich gross, weshalb alle mit dem Auto die verschiedenen Stationen anfahren. Dabei liegt eigentlich alles in Laufweite, aber egal. Auf einem Hügel stehen ein paar Holzgebäude, und wenn man von weitem die Augen zukneift, könnte man sich wirklich die Silhouette eines deutschen Dorfes vorstellen – ein paR Bauernhäuser mit einem Kirchturm in der Mitte. Im Restaurant wird dann echtes deutsches Essen präsentiert: Eisbein, oder eine Würstchenplatte. Lasche Brezeln. Und deutscher Salat: Ein paar Salatblätter, Minischinkenstreifen, und in der Mitte, wie aus Versehen dem Koch von der Gabel gefallen, eine Kartoffel. Wie die dahin kommt und wo die herkommt, ist ungewiss.

Kongeniale Illusion eines deutschen Salates
Kongeniale Illusion eines deutschen Salates

Wenigstens bei der Farbgebung hat man sich Mühe gegeben. Sowohl das Miniriesenrad als auch die Verkehrskegel und die zahlreichen Warnschilder sind Schwarz-rot-gold angestrichen. Man möchte ja authentisch sein. Ansonsten gibt es allerlei Verlustierungen für Kinder – eine 220 m lange Wasserrutsche, Bogenschiessen, kleine Pools, ein Schwanbootsee und so weiter. Das Gelände ist wirklich verhältnismässig gross (und der Rasen überall extrem gepflegt). Letztendlich zählt der Park jedoch zu der nervenden Sorte, denn obwohl man Eintritt zahlt, muss man für jede noch so kleine Attraktion mindestens drei Euro bezahlen. Die Preise für’s Grillgut sind jenseits von Gut und Böse: Ein Beutel mit den billigsten Gemüsesorten, für den Inhalt bezahlt man im Supermarkt rund 300 Yen, wurde hier im Sonderangebot angepriesen: für 3’900 yen anstelle von 4’200 Yen. Die Preisgestaltung liegt meiner Meinung nach ganz kurz vor der Grenze zum Betrug.
Fazit: Man kann hier mit den Kindern viel Spass haben, sollte aber -20% Deutschland erwarten sowie alle zwei Minuten lang den Griff ins Portemonnaie. Da empfiehlt sich die nur ein paar Kilometer entfernte マザー牧場 Mother’s Farm schon eher. Ist vom Prinzip her ähnlich, verspricht aber wenigstens nichts, dass es nicht halten kann. Und die Preisgestaltung ist dort etwas ehrlicher.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

1 Kommentar

  1. Als Berliner musste ich etwas schmunzeln.
    Meiner Frau gefällt es überhaupt nicht, wenn ich meinen inneren Berliner heraus lasse. Aber das Leben in Deutschland hat auch bei ihr Spuren hinterlassen. So hat sie einst einen Japaner verbal angegangen, der dann völlig empört unter lautem Protest das Weite suchte. Ich war schon etwas stolz auf sie.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Neueste Beiträge

Japanische Regierung erkennt Palästina vorerst nicht als eigenen Staat an

Heute liess das japanische Außenministerium verlauten, dass es vorerst Palästina nicht als eigenen Staat anerkennen werde. Gleichzeitig gab man...

Chūka Soba Mukan (中華蕎麦 無冠) in Gotanda, Tokyo

In diesem winzigen Ramen-Restaurant gibt es nur ein einziges Gericht: Feine Ramen mit Austern-Ajillo. Ein absoluter Hochgenuss.

Raben oder Krähen?

Was mich gelegentlich verwirrt, ist der Unterschied zwischen Raben (auf Englisch: "raven") und Krähen (auf Englisch "crow"). Liest man...

Premierminister geht – wer kommt? | Der Fall der unverfrorenen Takubo M.

Nerven aus Stahl – anders kann man japanische Politiker, die meisten zumindest, nicht charakterisieren. Die braucht man sicherlich auch,...

Tsuwano – das kleine Juwel mitten in den Bergen von Shimane

Diese Kleinstadt wird gern als "Kleines Kyoto" bezeichnet. Hinter sieben Bergen findet man hier in der Tat eine schöne Altstadt und Burgruine

Von Touristen überranntes Japan?

Man liest überall, dass Japan in letzter Zeit komplett von Touristen überrannt ist. Und zwar sowohl von ausländischen Besuchern,...

Must read

Die 10 beliebtesten Reiseziele in Japan

Im Mai 2017 erfolgte auf dem Japan-Blog dieser Webseite...

Auch lesenswertRELATED
Recommended to you