Ein kleiner, aber sehr beliebter Sushi-Laden auf der kleine Insel Hachijō-jima: Es war werktags, und gerade mal 12 Uhr, und da momentan die Touristen weitestgehend fehlten, war ich der einzige Kunde. Und der Sushimeister höchstpersönlich entpuppte sich als sehr gesprächiger Geselle. Das hat man selten, und so gab es einiges zu lernen. Und zu bestätigen.
Als ich vor rund 25 Jahren zum ersten Mal Sushi aß – in Japan – war die Spezialität in Deutschland noch weitestgehend unbekannt. Also die meisten hatten den Namen schon gehört, aber probiert hatte es bis dahin kaum einer mangels Sushiläden. Damals, so zumindest mein Eindruck, stand vor allem Thunfisch für Sushi – und zwar das dunkelrote Fleisch. Es durfte einfach nicht fehlen. Nun sind Thunfische aber grosse Tiere, die genau wie Rinder an verschiedenen Stellen des Körpers verschiedenes Fleisch haben. Rund 20% des Thunfischfleisches werden dabei als トロ toro bezeichnet, und dieses Fleisch wird dann auch noch gern in 中トロ chūtoro und 大トロ ōtoro unterschieden, wobei der Übergang fliessend ist: Ōtoro ist das fettigste Fleisch, rosa und leicht gemasert. “Besser” und teurer ist eigentlich nur noch カマトロ Kamatoro, das Fleisch hinter dem Kopf, aber das macht nur 0.3% des Fisches aus. Und da Toro so rar ist, war es zu jener Zeit richtig teuer und daher nicht Bestandteil einer üblichen Sushisause. Überhaupt bevorzugte man die fischigeren Arten des Sushi.
Heute hat sich das geändert: Das Zauberwort lautet “toro”. Fettig soll es sein. Darauf stellt sich auch die Fischzucht ein: Da man seit einiger Zeit Thunfisch auch züchten kann (die meisten Thunfische stammen heute aus industriellen Farmen), hat man es natürlich auch schon geschafft, den Toro-Anteil an den Thunfischen zu erhöhen – von bisher 20% auf bis zu 60%. Sprich, das ursprüngliche, rote Thunfischfleisch wird nunmehr seltener als der einst so luxuriöse Toro. Die Vorliebe für das fettigere Fleisch beschränkt sich dabei nicht nur auf den Thunfisch. Beim カツオ katsuo (Bonito) ist das nicht anders. Der wird – so weit ich weiss – noch nicht industriell gezüchtet. Im Frühjahr schwimmen die Fische mit dem Kuroshio-Meeresstrom gen Norden, in nahrreiche Gewässer, und im Spätsommer / Herbst wandern sie zurück gen Süden. Früher galt dabei das Frühjahr als Katsuo-Saison, doch nun ist es mehr der Herbst: Die 戻り鰹 modorigatsuo, die “zurückkehrenden Bonito”, sind nun vollgefressen und damit wesentlich fettiger als noch vor einem halben Jahr.
Doch auch andere Sachen haben sich geändert. Lachs zum Beispiel wurde früher gemieden. Man kannte ihn eigentlich nur beim japanischen Namen, 鮭 shake (auch: sake), und er war Synonym für gegrillten Fisch. Mehr oder weniger stark gesalzen gehörte er zum festen Bestandteil eines japanischen Mahls, gut gegrillt in den obligatorischen japanischen Fischgrills. Das hatte einen guten Grund: Lachse enthalten oft einen für den Menschen gefährlichen Parasiten – einen Fadenwurm mit dem Namen アニサキス Anisakis, der bei Menschen eine Anisakiasis genannte Krankheit auslöst, die ordentliche Schmerzen im Verdauungstrakt – bis hin zum Darmdurchbruch – auslösen kann. Bei Tintenfischen kommen diese Würmer auch oft vor – ebenso bei Heringen (bei bis zu 70%!). Da die Würmer Temperaturen über 60 Grad und unter -20 Grad nicht überleben, und auch keine Salzlake mögen, lag die japanische Art der Zubereitung nahe: In Salzlake einlegen, dann grillen. Sicher ist sicher. Doch mit dem Beginn der industriellen Lachszucht in Norwegen und anderswo hielt der Fisch auch in den Sushiläden Japans Einzug und wird dort bei seinem englischen Namen – サーモン saamon (Salmon) genannt.
Ein Besuch bei einem Sushiladen auf einer der kleinen Inseln lohnt sich immer: Zum einen gibt es dort nämlich wirklich fangfrischen, und bisweilen seltenen Fisch – 地魚 jizakana (örtlichen Fisch) – zu essen. Und auf vielen Inseln wird auch noch 島寿司 Shimazushi angeboten: Bei dem wird die Fischauflage erst etwas mariniert, und man isst das Sushi nicht mit Wasabi, dem grünen japanischen Meerrettich, sondern mit 和がらし wagarashi, dem japanischen Senf. Und das passt alles erstaunlich vervorragend zusammen.
Mit からし? Na, das muss ich doch bei der nächsten Gelegenheit gleich mal ausprobieren.