Nahrungsergänzungsmittel, auf japanisch gern kurz サプリ (Verballhornung des englischen Begriffs suppliments) genannt, sind ein großes Ding in Japan — dazu zählen unter anderem auch cholesterinsenkende Mittel. Kobayashi Seiyaku (小林製薬), ein traditionsreicher Arzneimittelhersteller mit mehr als 3500 Angestellten, stellt hier unter anderem ein Nahrungsergänzungsmittel auf 紅麹-Basis her. Kurz gesagt handelt es sich um ein Produkt aus Reis, das mit dem Purpurmönchspilz geimpft wird – verschimmelter Reis also, aber eben der Schimmel von der “guten” Sorte, siehe Penicillin oder Schimmelkäse.
Doch seit etlichen Wochen nun tauchen immer mehr Menschen auf, die gesundheitliche Probleme nach Einnahme des Nahrungsergänzungsmittels beklagen. Und es gibt inzwischen sogar 5 Todesfälle, die man mit dem Produkt in Verbindung bringt. Offensichtlich führt die Einnahme bei vielen Menschen zu Nierenproblemen, bis hin zu einem kompletten Nierenversagen. Analysen haben ergeben, dass zahlreiche Chargen des Produkts Puberulasäure enthalten – diese organische Verbindung gehört zu den Tropolonen und wird von einigen Penicillium-Arten produziert. Das Problem: Sie gehört nicht in das Produkt sondern ist ein Indiz dafür, dass im Herstellungsprozess nicht nur besagte Purpurmönchspilze, sondern auch andere, schädliche Schimmelarten im Spiel waren. Sprich, die Produktionsanlagen sind nicht sauber, weshalb es nun auch schon zwei Razzien Kobayashi Seiyaku gab.
Wohin der ganze Skandal noch führen wird, ist ungewiss: So spricht der Hersteller von Chargen zwischen April und Dezember 2023, die verunreinigt waren, doch es tauchten auch schon erste Berichte von Gesundheitsschädigungen auf, die vor diesem Zeitraum entstanden. Und Kobayashi Seiyaku hat ein großes Problem mit dem Rückruf der betroffenen Chargen – die Rede ist von mehr als 33’000 verschiedenen Vertriebsstellen- bzw. -wegen, und die alle zu erreichen ist schwierig. Natürlich wurde auch schon eine Hotline für Kunden eingerichtet, damit diesen erklärt werden kann, wo und wie die Produkte zurückgeschickt und erstattet werden können. Aus sicherer Quelle habe ich dabei erfahren, dass die Schulung der Callcenter-Agenten für diesen Auftrag gerade mal einen Tag lang dauert — danach heisst es ran ans Telefon und versuchen, den Schaden zu begrenzen.
Der Schock ist groß bei den japanischen Verbrauchern. Meldungen dieser Art hört und liest man gern von ausländischen Herstellern, nicht aber von einer traditionsreichen Firma, die dazu auch noch alles in Japan herstellt. Das prangt auch extra auf der Verpackung: 国内製造 – “Made in Japan”. Dabei ist Insidern schon lange klar, dass auch in Japan gern mal geschludert wird.
Interessant wird es dabei, herauszufinden, wie das Problem so lange unentdeckt bleiben konnte — sprich, wieso Chargen eines halben Jahres betroffen sein können. Sicherlich dauert es eine Weile, den gemeinsamen Nenner der Menschen mit Nierenschäden festzustellen, doch dass es irgendwo in einer arzneimittelproduzierenden Firma vor sich hinschimmelt, muss man doch eigentlich schneller bemerken.
Immerhin haben nahezu alle Japaner dank des Vorfalls ein neues Wort gelernt: プベルル酸 (besagte Puberulasäure) — für japanische Muttersprachler ein echter Zungenbrecher, was man auch bei der Pressekonferenz des Herstellers sehen konnte. Jeder zweite Journalist blieb mitten im Wort stecken oder sprach es falsch aus.
Traurig, wenn Menschen wegen verunreinigter Nahrungsergänzungsmittel zu Tode kommen. An Nierenversagen zu sterben ist kein leichter Tod.
Dabei reicht es oft schon aus, auf die Ernährung zu achten. Japanisches Essen gilt als besonders gesund. Eigentlich müssten dann solche Mittel überflüssig sein.
Beim Konsumieren vom japanischen Fernsehen ist mir das auch aufgefallen, dass ziemlich viel Werbung für solche Mittelchen gemacht wird. Und wie mein Vorschreiber schon richtig angemerkt hat, find ich das da irgendwie nicht sonderlich vereinbar mit der Essenskultur. Verstehe ich irgendwie auch nicht.