Es ist zwar nun schon knapp 20 Jahre her, aber die Bilder haben sich ins Gedächtnis eingebrannt: Der schwere ICE-Unfall in Eschede, bei dem 101 Passagiere starben, geschah in 1998 – als ich gerade in Japan studierte. Ungläubig schaute ich damals auf das Photo auf der Titelseite der Japan Times, das die völlig zerstörten ICE-Waggons vor einer Brücke in Eschede zeigte. Wie kann so etwas in einem eigentlich hochtechnologisierten Land wie Deutschland passieren? Und ist so etwas etwa auch in Japan möglich? Bis vor einer Woche hätten zumindest Japaner diese Frage vehement verneint, doch seit dem 11. Dezember 2017 ist man sich da nicht mehr so sicher.
An jenem Tag beschloss man, einen Shinkansen, der auf dem Weg von Hakata nach Tokyo war, für eine genauere Untersuchung außer Betrieb zu setzen — die Passagiere mussten in einen anderen Zug umsteigen. Und diese Untersuchung (“点検 tenken”) offenbarte sehr ernstzunehmende Mängel. Zum einen stellte man einen Riß im Gestellrahmen fest. Außerdem lief Öl im Getriebe aus. Außerdem hatte sich der Antriebsstrang auf ungewöhnliche Art und Weise verfärbt. Folgerichtig wurde der Zwischenfall als 重大インシデント jūdai inshidento – schwerer Zwischenfall eingestuft – und zwar als erster schwerer Zwischenfall in der 53-jährigen Geschichte der Shinkansen. Man muss da ganz sicher kein Bahnexperte sein, um sich auszumalen, dass ein Riß im Fahrwerk bei 300 oder mehr Stundenkilometern eine ernsthafte Gefahr darstellt.
Das problematische an diesem Zwischenfall ist, das es bereits kurz nach der Abfahrt, im Bahnhof Kogura auf Kyushu, erste ernstzunehmende Anzeichen gab. Dort stellte man einen ungewöhnlichen, brandähnlichen Geruch fest. Später, in Okayama, wurde ein seltsames Geräusch festgestellt. In der Nähe des Bahnhofs Kyotos nahm ein Schaffner ebenfalls einen seltsamen Geruch – dieses Mal im Wageninneren – wahr. Und trotzdem war der defekte Zug – mit Passagieren – 671 Kilometer auf der Hochgeschwindigkeitstrasse, bis sich jemand die Ursache genauer ansah.
Der ICE in Eschede war zum Zeitpunkt des Unglücks mit 200 km/h unterwegs – die Shinkansen auf der San’yo/Tokaido-Strecke sind mit 285 bis 320 km/h unterwegs. Es gibt zudem unzählige, zum Teil sehr lange Tunnel auf der Strecke. Man möchte sich nicht vorstellen, was passiert, wenn ein Shinkansen bei der Geschwindigkeit, womöglich noch in oder vor einem Tunnel verunglückt. Der schwere Zwischenfall deutet jedoch darauf hin, dass so etwas durchaus auch in Japan geschehen kann.
Was die Ursache anbelangt, so ist man sich noch nicht sicher – es könnte Materialermüdung gewesen sein, die erst den Riß verursachte und hernach das Getriebe beschädigte. Vielleicht ist der Waggon auch auf der Strecke mit etwas zusammengestoßen, was gleichzeitig das Gestell als auch das Getriebe beschädigte – man weiss es noch nicht genau.
Leider passend zum Thema ereignete sich ein paar Tage später ein weiterer Zwischenfall mit einem Shinkansen – ebenfalls im Bahnhof von Nagoya: Ein Shinkansen fuhr in den Bahnhof ein, und kurze Zeit später wieder aus – ohne die wartenden Passagiere hereinzulassen. Der Lokführer dachte, dass das hintere Zugpersonal die Türen geöffnet und die Passagiere hereingelassen hätte, aber dem war offensichtlich nicht so. Der Shinkansen wurde nach den ersten Metern “zurückgepfiffen” und man liess die Fahrgäste einsteigen. Das ist auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke dann doch ein bisschen besorgniserregend…
Ich hoffe die Japaner lernen aus den Fehlern der deutschen Geschichte, denn Japan darf sowas einfach nicht passieren, geht ja auch um den guten Ruf. Wenn die Shinkansen jetzt nach einander auseinander Fallen, würde ich das Vertrauen darin verlieren. Japan hat dann nur 2 Möglichkeiten, entweder voll auf die MagLev Technologie setzen oder mal bei Elon Musk anrufen und fragen wie es denn mit dem Hyperloop aussieht.
Ist natürlich auch eine Frage, wie das in Japan mit den Erdbeben laufen soll.