BlogWenn alte Wunden aufreissen: Kobe-Mörder schreibt Bestseller

Wenn alte Wunden aufreissen: Kobe-Mörder schreibt Bestseller

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Zekka - vom Kobe-Mörder Shin'ichirō Azuma
Zekka – vom Kobe-Mörder Shin’ichirō Azuma
Es ist gar nicht so lange her, dass ich darüber auf diesem Blog (und für ein Magazin) geschrieben habe: Den Sakakibara-Serienmord von Kobe, geschehen 1997 und verübt von einem 14-jährigen. Die Details sind so grausam, dass ich sie nicht noch einmal wiederholen möchte.
Der Vorfall hatte damals nicht nur bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen, sondern natürlich auch bei den meisten Japanern. Nach 18 Jahren geriet die Geschichte natürlich trotzdem langsam aber sicher in Vergessenheit, und der Täter, damals immer “少年A” (shōnen A) genannt, da aufgrund des japanischen Gesetzes zum Schutz Minderjähriger seine wahre Identität nicht veröffentlich werden durfte, lebt seit vielen Jahren unter uns… irgendwo, als freier Mensch.
In dieser Woche rief sich jedoch der Täter plötzlich wieder ins Gedächtnis aller zurück: Er veröffentlichte ein Buch mit dem Titel 絶歌 Zekka – in etwa “Ausklingendes Lied/Gedicht” unter dem Pseudonym 元少年A, also “Ehemaliger Jugendlicher A”. Erschienen ist das Buch beim kleinen Verlag Ohta Shuppan — siehe hier. Und siehe da, einen Tag später stand das Buch auf Platz 1 der Amazon-Bestsellerliste. Natürlich gibt es Proteste gegen das Buch, zumal es sich bei dem Buch nicht gerade um ein Schuldbekenntnis handelt: Im Gegenteil, die Einleitung lässt bereits erahnen, woher der Wind weht:

1997年6月28日。僕は、僕ではなくなった。

— 28. Juni 1997. Der Tag, an dem ich aufhörte, ich zu sein.
Es geht darum, dass er hernach seinen Namen gegen den Namen “Shōnen A” eintauschen musste – nicht mehr als “formloses Symbol”. Zwar entschuldigt sich der Täter in dem Buch bei den Angehörigen der Opfer, doch letztendlich schrieb er das Buch nur, um selbst Erlösung zu finden.
Natürlich laufen viele Menschen Sturm gegen das Buch — und gegen den Verlag. Das erkennt man schon an den zahllosen negativen Kommentaren bei Amazon. Der Grundtenor:
• Wenn er schon ein Buch veröffentlichen muss, dann soll er als jetzt Erwachsener gefälligst seinen wahren Namen nennen
• Was will der Verlag machen, wenn jemand aufgrund des (die Tat verherrlichenden) Buches eine ähnliche Tat begeht?
• Wenn wenigstens das Autorenhonorar an die Angehörigen gespendet werden würde
und so weiter. Und doch: Das Buch ist auf Platz 1 der Bestsellerliste. Denn das Böse fasziniert nunmal die Menschen. Und es dürfte auch nicht wenige Menschen geben, die einfach nur versuchen zu verstehen, denn die Tat hatte damals wirklich grosses Entsetzen ausgelöst – bei Erwachsenen sowieso, aber vor allem bei Kindern, die damals in einem ähnlichen Alter waren.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Ich kann nicht sagen, dass ich von der Idee von A ein Buch darueber zu schreiben gerade begeistert bin, jedoch ist es intresant wie A jetzt als ein Erwachsener sieht und fuehlt das, was er als Juegendlicher getan hat und das kann anscheinend der Grund sein warum es zu einem Bestseller wurde
    Gibt es nur in japanisch oder auch auf Englisch auch?

  2. “letztendlich schrieb er das Buch nur, um selbst Erlösung zu finden” – ich glaube, dass eine solche Auseinandersetzung mit dem was man getan hat notwendig ist, um auch als Täter reflektieren zu können. Anders kann eine Aufarbeitung mit dem Tätersein nicht funktionieren. Werden in dem Buch auch die Gründe für die Taten beschrieben? Das sind letztlich die Abgründe, aus welchen die Taten hervorgehen. Manchmal sind sie sozialisiert, manchmal sind sie in den Psychen der Täter zu finden.

    • Interessanterweise bezeichnet sich der Täter als normalen Menschen, der, quasi von der Gesellschaft geradezu gezwungen wurde, seine sexuellen Perversionen auszuleben. Und diese Perversion war letztendlich sein Mordmotiv.

      • Und genau hier liegt das Problem. Jugendlicher A möchte uns nicht mitteilen wie sehr er sich verändert hat sondern uns eigentlich nur mitteilen wie sehr wir alle Schuld daran sind das er ein kranker Typ ist.
        Jeder hat die Chance verdient sich zu bessern und mit seinen Taten abzuschließen…. aber der Kerl will einfach sich als Täter zum Opfer machen. Und das verabscheue ich mehr als….

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