BlogTumulte im Parlament: Die Ohnmacht der Opposition

Tumulte im Parlament: Die Ohnmacht der Opposition

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Wie erwartet fand heute ein Spezialausschuss im Oberhaus (参議院 sangiin) des japanischen Parlamentes statt – jener Ausschuss hatte zum Ziel, neue Gesetze zu verabschieden, die Japans Rolle in militärischen Konflikten neu definieren soll. Vor genau zwei Monaten wurden die Gesetzesvorlagen bereits im von den Liberaldemokraten dominierten Unterhaus durchgewunken. Die breite Mehrheit der Japaner ist gegen die Gesetze, und Verfassungsrechtler sowie Wissenschaftlerverbände haben ebenfalls lautstark gewarnt: Die Gesetze sind verfassungswidrig.
Davon liess und lässt sich Abe jedoch nicht beirren. Mit all seiner Macht sorgte er dafür, dass der Opposition keine Chance gegeben wurde. Fragen und Zweifel der Opposition wurden schroff abgebürstet, und trotz all der Widersprüche bezüglich dessen, was denn nun nach diesen neuen Gesetzen alles erlaubt ist und was nicht, verfolgte Abe sein Ziel unbeirrt. Heute kam es zur Abstimmung im Ausschuss, doch da lief bei weitem nicht alles nach Protokoll. Grob zusammengefasst kann man sagen, dass die Liberaldemokraten die Oppositionsparteien schlichtweg ignorierten. Denen reichte das Theater endgültig, so dass es lange acht Minuten lang zu Ausschreitungen im Parlament kam:

Alles nur Show? Vielleicht ist ein bisschen Show dabei, doch die Art und Weise, wie mit der Opposition in den beiden Häusern umgesprungen wird, ist beschämend für eine Demokratie. Eigentlich ist es nur fair zu behaupten, dass die jetzige Regierung eine demokratisch gewählte Diktatur ist.
Wie lange wird es dauern, bis der erste japanische Soldat in einer Bahre aus einem Konflikt in einem fernen Land zurückkommt? Wie lange wird es dauern, bis sich Japaner an diesen Anblick gewöhnt haben – so wie sich zum Beispiel Deutsche daran gewöhnt haben? Als ich bei der Bundeswehr meinen Wehrdienst ableistete, wurde mein Truppführer in Kambodscha im Einsatz erschossen. Der erste im Auslandseinsatz getötete deutsche Soldat seit Gründung der Bundesrepublik.
Am nächsten Tag wimmelte es nur so von Presseleuten vor dem Kasernentor. Ein Journalist rief die Frau eines Kameraden an, der ebenfalls in Kambodscha war, und gab vor, dass auch ihr Mann erschossen wurde – nur, um an Informationen zu gelangen (der Mann lebte natürlich noch). Ein paar Tage später gab es ein grosses Begräbnis mit Verteidigungsminister und anderen Honoratioren. Und mit meiner Wenigkeit, versteht sich. Weiss heute jedoch jemand, gute 20 Jahre später, wie viele deutsche Soldaten in etwa bisher in Afghanistan ums Leben kamen? Schätzungsweise? Na?
Japan wird sich auch daran gewöhnen. Und das ist schade. 70 Jahre Frieden, dank pazifistischer Verfassung, die nun von Abe & Co. ausgehebelt wurde. Interessanterweise kamen gestern dazu bereits lautstarke Dementi von den Liberaldemokraten bezüglich von Gerüchten, dass die Wehrpflicht in Japan eingeführt werden soll. Die Dementi waren ähnlich stark wie die gegenüber den Befürchtungen, dass in Deutschland eine PKW-Maut eingeführt werden könnte. Neue Gesetzesvorhaben beginnen nicht selten damit, dass man erstmal eben jene stark verneint. Das nennt man “planting the seed” – Samen in die Köpfe von Leuten zu pflanzen.

tabibito
tabibitohttps://japan-almanach.de
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei der Tabibitos Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Sehr schade, dass die pazifistische Verfassung abgeschafft wurde. Ich finde Japan könnte stolz darauf sein und auch eine Vorreiterrolle für andere Staaten übernehmen. Vielleicht kann das Gesetz ja aufgrund der Verfassungswidrigkeit zu Fall gebracht werden…
    Weißt Du, wie die Kōmeitō dazu steht? Von einer buddhistischen Partei würde ich immerhin erwarten, stärker zum Pazifismus zu tendieren.

  2. Mit der Opposition habe ich wenig Mitleid, die DPJ hat sich in dieser Debatte selbst abgeschafft und es durch die sture Blockadepolitik nicht geschafft in irgendeiner Art Kapital aus der Debatte zu schlagen. Deswegen ändern sich die Umfragewerte für Abe auch kaum, es gab keine plausiblen Alternativen welche etwas anderes als ein stures “Nein” anboten.

  3. Bei aller Empörung und Kontroverse, irgendeine deutliche Mehrheit hat diesem Mann ja vor nicht allzu langer Zeit seine Stimme gegeben. Was ist eigentlich mit denen?
    Und wieder muss ich an 宇宙人総理 denken.

  4. In vieler Hinsicht eine bedauerliche Entwicklung für Japan. Vor allem die politischen Signale, die Abes Politik in Richtung Nachbarländer sendet, bereiten mir Sorgen. Ein “starker” Mann wie Abe wirkt hier wie ein Elefant im Porzellanladen. Anstelle von sensibler Außenpolitik stehen markige Sprüche a la “日本を取り戻す”. Dieser Wahlwerbespruch der LDP steht für einen höchstbedenklichen Grundtenor, den man leider nicht nur in Japan antrifft. In einer Welt, die zusammenwächst und auf Kooperation angewiesen ist, scheint die Angst, in irgendeiner Form zu kurz zu kommen, weit verbreitet.
    Deutliche Gegenstimmen aus der Bevölkerung in Form von Massenprotesten tun da einfach gut.

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